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Der Bilderwächter (German Edition)

Der Bilderwächter (German Edition)

Titel: Der Bilderwächter (German Edition)
Autoren: Monika Feth
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sie nicht aufgehört, ihm zu schreiben. Sie hatte nur das Briefpapier gewechselt.
    Totenbriefe, das wusste sie tief in ihrem Innern, schrieb man auf Papier, das braun war. Wie die Erde, die Rubens Körper aufgenommen hatte.
    Sie las den letzten Brief.
    Zur Einstimmung.
    Dann betrat sie ihr Wohnzimmer, setzte sich an den kleinen Sekretär, legte sich ein Blatt zurecht, drehte die Kappe vom Füllfederhalter und begann zu schreiben.
    Der traurige Vormittag zog sich zurück, verblasste wie ein Traum.
    Hortense dachte an nichts anderes mehr als an das, was sie Ruben zu sagen hatte.
    *
    Als ich in die Küche kam, empfing mich der Duft von Kaffee und frischen Brötchen. Und das breite Lächeln Claudios, der bei uns übernachtet hatte.
    » Ciao bella « , sagte er mit diesem ganz speziellen Schmelz in der Stimme, der Merle immer noch den Kopf verdrehte.
    Heute Morgen jedoch nicht. Sie sah müde aus, fast so, als würde sie noch schlafen.
    » Ciao Claudio«, antwortete ich und beugte mich über den Brötchenkorb. » Ist für mich auch eins dabei?«
    » Aber naturalmente.« Er hob den Korb auf und hielt ihn mir hin. » Hab an alle gedacht.«
    Alle, das waren heute nur Merle, Mike und ich. Ilka, die ihr Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf angefangen hatte, würde erst am Wochenende kommen. Mina befand sich noch in der Klinik, wo sie große Fortschritte in ihrer Therapie machte. Und Luke …
    » Luke ist nicht hier?«
    Nein. Luke wollte in seiner eigenen Wohnung übernachten. Nein. Er war nicht geblieben. Und ja: Ich war sauer auf ihn. Doch das brauchte Claudio nicht zu wissen.
    » Hatte er nicht vor, hier einzuziehen?«, fragte Claudio zuckersüß.
    » Ja«, würgte Merle seine Neugier ab. » Irgendwann. Doch dazu müssen wir zuerst den Stall ausbauen. Aber das weißt du doch.«
    Ich schnappte mir ein Brötchen und schnitt es auf. Merle, die auch für Mike und mich gedeckt hatte, ging zur Espressomaschine und ließ mir einen Kaffee einlaufen. Fürsorglich stellte sie ihn vor mir ab und setzte sich wieder hin.
    Sie hatte Frieden geschlossen mit Luke, anders als Claudio, der die Meinung vertrat, Luke verhalte sich nicht wie ein liebender Mann.
    Claudio und ich hatten nicht viel gemeinsam. Doch in dieser Frage waren wir uns ausnahmsweise einmal einig. Auch ich stellte mir unter Liebe was anderes vor.
    Sollte Luke nicht viel häufiger das Bedürfnis haben, in meiner Nähe zu sein? Mich zu berühren? Mit mir zu lachen? Zu reden?
    Sollte er nicht Teil von mir sein?
    » Jemand, der erlebt hat, was Luke durchmachen musste«, verteidigte Merle ihn, wenn wir darüber sprachen, » so jemand kann nicht von heute auf morgen aus seiner Haut. Er hat mit einem Mal eine Identität abgestreift, die ihm jahrelang aufgezwungen worden war. Plötzlich steht er da wie nackt.«
    Sie hatte ja recht. Ich war zu ungeduldig.
    Aber ich sehnte mich so nach ihm.
    Fühlte mich wie amputiert, wenn er nicht bei mir war.
    » Das gibt sich mit der Zeit«, versuchte Merle mich in solchen Momenten zu trösten. » Inzwischen bin ich ganz froh, wenn Claudio nicht ständig um mich herumspringt.«
    Doch das war kein Trost. Ich wollte nicht, dass es bei mir und Luke so wurde wie bei Claudio und ihr. Wollte mich nicht mit ihm streiten, dass die Fetzen flogen. Ihn hochkant rauswerfen und dann heulend in der Küche sitzen und zwei Päckchen Papiertaschentücher durchweichen.
    Claudio behauptete, seine Eifersucht und sein aufbrausendes Temperament seien Teil seines sizilianischen Erbes, das er nicht verleugnen könne. Wenn er losbrüllte, tat er das in breitestem Italienisch und fuhrwerkte mit beiden Händen gefährlich in der Luft herum.
    Danach war er sanft wie ein Lamm. Schuldbewusst. Überhäufte Merle mit Küssen und schwor ihr, sie niemals zu verlassen. Nannte sie seine Madonna und beteuerte, sie sei die schönste Frau der Welt.
    Falls er so weit kam. Denn immer häufiger ließ Merle ihn toben und zog sich einfach zurück.
    Oder sie warf ihn eben raus.
    » Kommst du heute Abend nach Hause?«, fragte sie mich.
    Ich nickte. Das knusprige Brötchen krachte verheißungsvoll, als ich hineinbiss. Die Säure des Quarks und die Süße des Honigs explodierten in meinem Mund. Ich schloss genießerisch die Augen.
    » Machen wir dann was zusammen?«, fragte Merle.
    » Unbedingt«, nuschelte ich mit vollem Mund.
    » Du hast gesagt, du hast keine Zeit«, beschwerte sich Claudio, und die Ader an seiner Schläfe schwoll an.
    » Hab ich auch nicht.«
    » Und wieso verabredest
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