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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman
Autoren: Sarah Waters
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Stirn. »Bis jetzt schien es ihr ganz gut zu gehen. Wahrscheinlich braucht sie bloß ein bisschen Zeit, um sich einzugewöhnen.«
    »Und wie ich verstanden habe, schläft sie nachts ganz allein hier unten. Da muss sie sich ziemlich einsam fühlen. Sie hat auch eine Hintertreppe erwähnt und meinte, dass es sie dort gruselt.«
    Carolines Miene hellte sich auf, nun wirkte sie beinahe amüsiert. »Ach, daher weht der Wind! Ich hätte eigentlich gedacht, dass sie nichts auf solchen Unfug gibt. Zumindest wirkte sie ganz vernünftig, als sie hierherkam. Aber bei diesen Mädchen vom Lande weiß man ja nie so genau. Entweder sind sie hart im Nehmen und dran gewöhnt, den Hühnern den Hals umzudrehen, oder aber sie kriegen gleich Anfälle, wie dieses Dienstmädchen in Große Erwartungen . Wahrscheinlich hat sie bloß zu viele Gruselfilme gesehen. Auf Hundreds ist es zwar relativ ruhig, aber an unserem Haus ist nun wirklich nichts seltsam oder schauerlich.«
    Nach einem Moment des Zögerns sagte ich: »Aber Sie wohnen natürlich auch schon Ihr ganzes Leben lang hier. Fällt Ihnen nicht irgendetwas ein, womit Sie dem Mädchen ein bisschen Mut machen könnten?«
    Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Soll ich ihr vielleicht Gutenachtgeschichten vorlesen?«
    »Sie ist noch sehr jung, Miss Ayres.«
    »Also, sie wird von uns hier nicht schlecht behandelt, wenn Sie das meinen. Wir zahlen ihr mehr, als wir uns eigentlich leisten können. Sie bekommt das gleiche Essen wie wir. Wirklich, ihr geht es in vielerlei Hinsicht besser als uns.«
    »Ja«, erwiderte ich. »Ihr Bruder hat auch schon etwas in der Art gesagt.«
    Ich sprach mit kühler Stimme, und sie errötete, was ihr nicht besonders gut stand; die Röte begann an ihrem Hals und verteilte sich dann fleckig auf ihren trockenen Wangen. Sie wandte den Blick ab, als fiele es ihr schwer, Geduld zu bewahren. Als sie wieder zu sprechen begann, klang ihre Stimme jedoch etwas freundlicher.
    »Um ehrlich zu sein, würden wir sogar eine ganze Menge tun, damit sich Betty wohl fühlt«, sagte sie. »Wir können es uns nämlich gar nicht leisten, sie zu verlieren. Unsere Zugehfrau tut, was sie kann, aber in diesem Haus braucht man mehr als nur einen Dienstboten, und wir haben in den letzten Jahren feststellen müssen, dass es nahezu unmöglich ist, Dienstmädchen zu finden. Wir wohnen einfach zu weit draußen, zu weit entfernt von den Busstrecken und so weiter. Unser letztes Mädchen ist genau drei Tage geblieben. Das war im Januar. Bis Betty hier anfing, habe ich den Großteil der Arbeit allein erledigt … Aber ich bin froh, dass nichts Schlimmes mit ihr ist. Ganz ehrlich.«
    Die Röte verschwand allmählich aus ihrem Gesicht, doch ihre Mundwinkel zeigten nach unten und sie wirkte müde. Ich blickte über ihre Schulter zum Küchentisch und sah das Gemüse, das nun gewaschen und geschält dort lag. Dann betrachtete ich ihre Hände und bemerkte zum ersten Mal, wie abgearbeitet sie waren, die kurzen Nägel eingerissen und die Fingerknöchel gerötet. Eine Schande, wie ich fand, denn es waren eigentlich recht hübsche Hände.
    Sie musste meinem Blick gefolgt sein. Sie wandte sich von mir ab, als sei sie verlegen, knüllte das Geschirrtuch zu einem Ball und warf es zielsicher in die Küche, wo es auf dem Tisch neben dem erdbeschmierten Tablett landete. »Ich begleite Sie wieder nach oben«, sagte sie, und es schien mir, als wolle sie meinen Besuch nun schnell zum Ende bringen. Schweigend stiegen wir die Steintreppe hinauf, gefolgt von dem Hund, der sich schnaufend und hechelnd um unsere Füße drängte.
    Auf halber Treppe, an der Stelle, wo der Dienstboteneingang zurück auf die Terrasse führte, trafen wir auf Roderick, der gerade hereinkam.
    »Mutter sucht dich, Caroline«, sagte er. »Sie hat schon gefragt, wo der Tee bleibt.« Er nickte mir knapp zu. »Hallo, Faraday. Sind Sie schon zu einer Diagnose gekommen?«
    Dieses herablassende »Faraday« ärgerte mich ein bisschen, immerhin war er vierundzwanzig und ich beinahe vierzig; doch ehe ich etwas erwidern konnte, hängte sich Caroline bei ihm ein.
    »Dr. Faraday hält uns für Unmenschen!«, sagte sie mit klimpernden Augenlidern. »Er hat die Befürchtung, wir würden Betty durch die Kaminschächte jagen – oder ihr andere schreckliche Dinge zumuten.«
    Er grinste schwach. »Gar keine schlechte Idee, oder?«
    Ich sagte: »Betty geht es gut. Eine leichte Magenverstimmung.«
    »Nichts Ansteckendes?«
    »Gewiss nicht.«
    »Aber wir sollen
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