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Der Besuch

Der Besuch

Titel: Der Besuch
Autoren: H.G. Wells
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am Nachmittag. Er wußte, es würde ihm ein unangenehmes Gefühl bereiten, wenn er in den heißen Sonnenschein hinausginge – sowohl in seinem Kopf als auch allgemein. Aber Gully war wahrscheinlich draußen und streifte aufmerksam umher. Angenommen es war etwas sehr Gutes, und Gully erwischte es!
    Seine Flinte stand in der Ecke. (Das Ding hatte schillernde Flügel und rosafarbene Beine!
    Die Dissonanz der Farben war sicherlich überaus anregend.) Er nahm seine Flinte.
    Er wäre bei der Glastür und der Veranda hinaus und den Garten hinunter zu dem Bergpfad gegangen, um dem Blick seiner Haushälterin auszuweichen. Er wußte, daß seine Expeditionen mit der Flinte nicht gebilligt wurden. Aber da sah er die Frau des Hilfsgeistlichen und ihre zwei Töchter, die Tennisschläger trugen, den Garten herauf auf sich zukommen. Die Frau seines Kuraten war eine junge Dame von ungeheurer Willenskraft, die auf seinem Rasen Tennis spielte und seine Rosen schnitt, in Grundsatzfragen einen anderen Standpunkt vertrat als er und seine Person in der ganzen Gemeinde kritisierte. Er hatte eine erbärmliche Angst vor ihr und versuchte ständig, ihr Wohlwollen zu erlangen. Aber bis jetzt hatte er sich an seine Ornithologie geklammert ...
    Wie auch immer, er ging bei der vorderen Tür hinaus.

4
    Wären nicht die Sammler, würde es in England sozusagen von seltenen Vögeln und wunderbaren Schmetterlingen, seltsamen Blumen und tausend interessanten Dingen wimmeln.
    Aber glücklicherweise verhindert der Sammler dies alles, indem er entweder eigenhändig tötet oder Leute der unteren Schichten auftreibt, die gegen übertrieben hohe Bezahlung solche Ausnahmeerscheinungen, wo immer sie auftauchen, töten. Es verschafft den Leuten Arbeit, auch wenn Gesetze dagegen erlassen werden. Auf diese Art und Weise schlachtet er zum Beispiel die Dohle in Cornwall ab oder auch den weißen Schmetterling im Räume Bath, den Perlmutterfalter Königin von Spanien; ebenso darf er sich mit der Ausrottung des Großen Alks und hundert anderer seltener Vögel und Pflanzen und Insekten brüsten. All das ist das Werk des Sammlers und allein sein Ruhm. Im Namen der Wissenschaft. Und das ist auch richtig und wünschenswert; jede Ausnahmeerscheinung ist tatsächlich abartig –
    sollten Sie im Moment nicht dieser Meinung sein, dann überdenken Sie die Sache noch ein zweites Mal –, genau wie Außergewöhnlichkeit im Denken als Wahnsinn bezeichnet wird. (Ich fordere Sie dazu auf, eine andere Definition zu finden, die auf jedes einzelne Beispiel der beiden erwähnten Fälle zutrifft); und wenn eine Gattung selten ist, dann folgt daraus, daß sie nicht geeignet ist, zu überleben. So gesehen ist der Sammler bloß wie der Fußsoldat in den Tagen der schweren Rüstung – er läßt die Kämpfer allein und schneidet die Kehlen derer durch, die gestürzt sind. Deshalb ist es auch möglich, daß jemand im Sommer England von einem Ende zum anderen durchwandert und dabei nur acht oder zehn gewöhnliche wildwachsende Blumen, die gewöhnlicheren Schmetterlinge und etwa ein Dutzend gewöhnliche Vögel sieht, ohne daß sein ästhetischer Sinn durch eine Unterbrechung der Monotonie, durch den Farbfleck irgendeiner seltsamen Blüte oder das Flattern unbekannter Flügel verletzt werden würde. Alle diese Besonderheiten sind schon vor Jahren „gesammelt“ worden. Weshalb wir auch alle die Sammler lieben sollten, und jedesmal, wenn ihre Sammlungen gezeigt werden, daran denken sollten, was wir ihnen zu verdanken haben. Diese, ihre kleinen, nach Kampfer riechenden Schubladen, ihre Glaskästen und Löschpapierbücher sind die Gräber des Seltenen und des Schönen, sind die Symbole des Triumphs der Muße (der sinnvoll genützten Muße) über die Freuden des Lebens. (Das alles hat, wie Sie sehr richtig bemerken, überhaupt nichts mit dem Seltsamen Vogel zu tun.) 5
    Es gibt im Moor eine Stelle, wo das schwarze Wasser zwischen dem saftigen Moos hervorglänzt, und wo der haarige Sonnentau, der Vertilger leichtsinniger Insekten, seine rotgefleckten hungrigen Hände dem Gott entgegenstreckt, der seine Geschöpfe hingibt – jedes dazu bestimmt, einem anderen als Futter zu dienen. Auf einer Anhöhe daneben wachsen Birken mit silbriger Rinde, und das helle Grün der Lärche vermischt sich mit dem dunklen der Tanne. Dorthin ging der Vikar, durch die betörend nach Honig duftende Heide, in der Hitze des Tages, eine Flinte unterm Arm, eine Flinte, die mit grobem Schrot für den Seltsamen Vogel geladen
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