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Der Beethoven-Fluch

Der Beethoven-Fluch

Titel: Der Beethoven-Fluch
Autoren: M.j. Rose
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energischer, als es sein fortgeschrittenes Alter oder seine Körpergröße vermuten ließen, und schien auch durch das leichte Nachziehen seines Beins nicht allzu sehr in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt zu sein.
    Lucian war lange genug beim FBI und hatte daher ein Gespür dafür, wenn Gefahr im Verzug war. Er hätte Meer und ihrem Begleiter noch eine Warnung zurufen können, aber sie hätten ihn sowieso nicht gehört. Er stand zu weit von ihnen entfernt, abgetrennt durch eine Mauer aus völlig verstörten Sicherheitsleuten – Männer und Frauen, die sonst idiotensichere Internet-oder Virenschutzprogramme erfanden, satellitengestützte Navigationssysteme, Peilsender, Sicherheitsschleusen und Spürgeräte, die Sprengstoffspuren sogar in der Luft entdeckten. Sie alle waren noch verängstigter als die anderen, weil sie einen ganz anderen Durchblick besaßen. Ihnen war klar, ein allumfassender Schutz, eine hundertprozentige Sicherheit, das war ein Ding der Unmöglichkeit. Vermutlich war keinem von ihnen bewusst, dass die brutalen, albtraumhaften Visionen, die sie da soeben erlebt hatten, Erinnerung an ihre eigenen Vorleben waren. Eher hielten sie sich vermutlich für Opfer einer Massenpsychose, hervorgerufen vielleicht von einem chemischen Kampfstoff. Nicht so Lucian. Nach seinem Gefühl war das, was Samuels mittlerweile sein ganzes wissenschaftliches Leben lang nachzuweisen versuchte, hier heute Abend wahrscheinlich bestätigt worden war. Ausgelöst nicht etwa durch ein biologisches Gift, sondern durch ein paar Noten: eine Melodie, die untergegangene Erinnerungen zum Leben erweckte.
    Plötzlich stob die Menge auseinander. Im wild zuckenden Blitzlichtgewitter der Fotografen sah Lucian, wie Brecht eine Schusswaffe zog.
    “Meer! Pass auf!” Sein Schrei ging unter im Geschiebe und Gedränge.
    Malachai Samuels knickte vornüber. Die Hände auf den Bauch gepresst, sackte er zusammen und entschwand Lucians Sicht, genau wie Meer. Die dichte, wogende Menschenmenge verdeckte sie.
    Nun fiel es Lucian wie Schuppen von den Augen: Brecht war ebenfalls hinter der Flöte her! Und das konnte nur eins bedeuten: Sobald er begriff, dass Samuels das Instrument nicht bei sich hatte, wäre Meer in Gefahr!
    Ohne Rücksicht auf das Gedränge stürzte Lucian sich ins Gewühl. Ein stämmiges Weibsbild versperrte ihm den Weg, taumelnd, offenbar völlig desorientiert. Er brüllte sie an, sie solle ihn durchlassen, doch sie blieb stehen wie vom Donner gerührt, das Gesicht eine schreckensstarre Maske. Und als ihre Beine unter ihr nachgaben, da blieb Lucian nichts anderes übrig, als ihr mit einem Satz zu Hilfe zu eilen.

104. KAPITEL
    D onnerstag, 1. Mai – 20:42 Uhr
    Tom Paxton saß allein in seiner provisorischen Kommandozentrale. Ohne seine Umgebung wahrzunehmen, starrte er auf die Monitore, sah aber nicht den übertragenen Tumult, sondern die von der Musik heraufbeschworenen Bilder … Widerwärtige Szenen, in denen ein Mann vor den Augen eines kleinen Jungen über eine Frau herfiel … Er roch den Qualm, den Dreck, hörte das verzweifelte Kreischen der unter ihm liegenden Mutter … nein, nicht unter ihm … unter einem viehischen Verbrecher … in einer anderen Zeit … die grässlichen Schreie …
    Dann wurde ihm klar: Der Lärm war echt! Er drang aus dem Theater – jetzt, in diesem Augenblick! Spitze, gellende Schreie aus einem Publikum, das sich auf ein Konzert gefreut hatte und nun in ein entsetzliches Geschehen hineingezogen wurde, mit dem niemand hatte rechnen können.
    “Chef?” Es war Kerri.
    Paxton blickte auf, heilfroh, seine Mitarbeiterin zu sehen. “Alles okay?”
    “Ja, alles in Ordnung.”
    “Hat es Sie auch erwischt?”
    “Nein.”
    “Da haben Sie Glück gehabt”, flüsterte er.
    “War’s so schlimm?”
    Nickend wandte er den Blick ab und richtete sein Augenmerk wieder auf seine Bildschirmwand.
    Kerri trat zu ihm, legte ihm die Hand auf die Schulter und spürte zu ihrer Verblüffung, wie sein Rücken zitterte. Dass sie dann auch noch Tränen in seinen Augen sah, setzte sie erst recht in Erstaunen. “Was ist denn los, Chef?”
    Paxton hörte ihre Stimme, spürte ihre Hand und hätte sich liebend gern trösten lassen, aber er wurde abgelenkt von einem Display, das den Haupteingang überwachte. Dort wälzte sich gerade ein Menschenstrom aus dem Gebäude, eine von einer Eigendynamik angetrieben Flut, in deren Mitte er David Yalom ausmachte. Der Journalist sah so aus, wie Paxton zumute war: als wäre er
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