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Der Bann (German Edition)

Der Bann (German Edition)

Titel: Der Bann (German Edition)
Autoren: Stephen L. Jones
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Hand. Drückte sie.
    Die einzigen Geräusche in der Küche waren das Knistern der Scheite im Kamin und das mechanische Saugen des Lungenautomaten. Draußen heulte der Wind und schleuderte prasselnd Regentropfen gegen die Scheiben.
    Hannah erhob sich, atmete tief durch und wollte nach draußen gehen, um Leah zu holen, als etwas Schweres gegen die Vordertür des Farmhauses krachte.

Kapitel 2
    Balliol College, Oxford
    1979
    C harles Meredith stellte sich an jenem Julimorgen während der Fahrt von seinem Haus in Woodstock zur Bibliothek des Balliol College genau zwei Fragen. Die erste lautete: Würde die junge Frau den vierten Morgen in Folge dort sein? Und die zweite: Falls nicht, wie viel machte es ihm aus?
    Während er die erste Frage nicht beantworten konnte, bevor er den Campus erreicht hatte, legte die Tatsache, dass er sich an diesem Samstagmorgen im Verkehr der Sommertouristen überhaupt damit beschäftigte, die Vermutung nahe, dass es ihm eine ziemliche Menge ausmachen würde.
    Die junge Frau war sowohl starrköpfig als auch temperamentvoll – Eigenschaften, die Charles mit ihr teilte, wie er einräumen musste. Unausweichlich war es zum Zusammenprall gekommen. Zusätzlich zu ihrer Starrköpfigkeit und ihrem Temperament war die junge Frau ein Rätsel, ein Puzzle, das seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.
    Ihr plötzliches Auftauchen, die Art und Weise, wie sie in sein Leben geplatzt war wie Donnergrollen in einem unruhigen Himmel, hätte kaum zu einem unpassenderen Zeitpunkt kommen können. In weniger als sechs Wochen sollte er in Princeton einen Vortrag halten – vor den renommiertesten Wissenschaftlern der Akademie und zugleich den leidenschaftlichsten Gelehrten der Mittelalterlichen Geschichte. Nicht nur, dass sein Vortrag noch nicht fertig war, er hatte gerade eine so ernste Schwachstelle in einer seiner grundlegenden Hypothesen gefunden, dass sie das gesamte Gebilde krachend zum Einsturz zu bringen drohte.
    Am Mittwochmorgen war er auf dem Campus eingetroffen, und die sechswöchige Deadline hatte ihm im Nacken gesessen wie der Minotaurus dem Theseus. Mit einer Umhängetasche voller Forschungsberichte, handschriftlich festgehaltener Gedanken und Bücher hatte er die Bibliothek der Balliol durchquert, um zu seinem Tisch nahe der Holzstatue von St. Catherine zu gelangen. Es war derselbe Tisch, den er immer benutzte, wenn er in der Bibliothek arbeitete. Von diesem Tisch aus, umgeben von gedruckten Werken, konnte er durch die hohen Bogenfenster auf den vorderen Hof hinaussehen, das Porträt von George Abbot betrachten, dem früheren Erzbischof von Canterbury und einem der siebenundvierzig Übersetzer, die für die King-James-Bibel verantwortlich zeichneten.
    Neuerdings hatte Charles zu seinem Missbehagen herausgefunden, dass der Tisch nicht nur der einzige war, den er gerne benutzte – es war außerdem der einzige, an dem er
überhaupt
arbeiten konnte. Wann immer er versuchte, an einem anderen Tisch in der weitläufigen Bibliothek zu arbeiten, stellte er fest, dass seine Konzentration versiegte und seine Laune schlecht wurde. Zuerst sagte er sich, dass er einfach Trost zog aus der Nähe der Statue der heiligen Catherine und dem gütigen Blick des Erzbischofs. Doch das war, wie er sich jetzt eingestand, Selbstbetrug gewesen.
    Genau wie die präzise geordneten Hemden in seinem Schrank zu Hause, das sorgfältig arrangierte Besteck in seiner Küchenschublade, die akribisch in seiner Speisekammer gestapelten Konservendosen oder die Sammlung ordentlich flach gedrückter Milchflaschendeckel auf der Fensterbank stellte der Tisch in der Bibliothek ein weiteres Symptom dar, ein Warnzeichen, einen Hinweis auf das unablässige Vordringen der Zwänge, die ihn mehr und mehr verfolgten. Charles hatte verlegen reagiert, als er herausgefunden hatte, dass seine Kollegen ebenso wie seine Studenten seine Fixierung längst bemerkt hatten und mit nachsichtiger Milde reagierten – wann immer er die Bibliothek besuchte, gleich, zu welcher Tageszeit, der Tisch war frei und wartete auf ihn.
    Bis zu dem Mittwochmorgen jedenfalls, als er die illegitime Besetzerin vorgefunden hatte.
    Sie war jung. Wenigstens zehn Jahre jünger als er selbst. Als er eintraf, hockte sie in einem Berg aus Nachschlagewerken und Fachbüchern wie ein Geier in den achtlos verstreuten Überresten von Aas. Es würde, dachte er da noch, vermutlich eine Ewigkeit dauern, bis sie alles zusammengesammelt und zu einem anderen Tisch getragen hätte. Seit
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