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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit
Autoren: Leif Davidsen
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Asphalt. Ich spürte den Schweiß in den Achselhöhlen und mein Herz, das schneller schlug. Die Geräusche von der Hauptstraße wurden unmerklich schwächer, als würden sie gefiltert, während ich meine Aufmerksamkeit auf den vor mir stehenden Mann richtete. In seinen Augen lag Schwäche, und auf seiner Oberlippe standen Schweißperlen. Ich schob die Fototasche auf den Rücken und wartete in der Hoffnung, daß irgend jemand in der Nebenstraße auftauchte, was ihn davon abhalten würde, gewalttätig zu werden, aber er trat einen Schritt vor und beging den Fehler, die Hand vorzustrecken, als wollte er mir die Tasche von der Schulter reißen. Ich ergriff seine Hand, trat einen kleinen Schritt zurück, so daß ich seinen eigenen leichten Drall nutzte, packte seinen kleinen Finger und drehte ihn um, während ich gleichzeitig seinen Arm herumriß und nach oben drückte. Er japste überrascht, aber der Ton blieb ihm im Hals stecken, als ich ihm mein Knie in die Hoden rammte, während ich weiter an seiner Schulter zog, bis das Gelenk knackte. Mit hohlem Stöhnen und gelähmt vor Schock und Schmerz sank er vor mir zusammen.
    Ich nahm meine Reisetasche. Der kleine fette Fahrer trat von dem Mercedes weg und hob abwehrend die Arme. Das Ganze war so schnell gegangen, daß ich daran zweifle, ob er überhaupt etwas mitbekommen hatte. Sein Kumpel lag auf den Knien und erbrach sich vor Schmerz. Seine Finger würden anschwellen, und im Schritt würde es ihm etliche Tage weh tun.
    » No « , sagte der kleine Dicke bloß und trat demonstrativ zur Seite. Ich ging an ihm vorbei, warf meine Taschen in den Jeep und fuhr los. Meine Hände zitterten ein wenig, mein Hemd war im Rücken durchgeweicht. Eine Touristenfamilie mit zwei halbwüchsigen Kindern war um die Ecke gebogen und starrte mir nach. Der Vater zog die beiden Minderjährigen schützend an sich. Die Frau hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Es würde ihren Urlaub zu einem nicht nur sorglosen Erlebnis machen, aber daran war nun mal nichts zu ändern.
    Langsam und vorsichtig fuhr ich zu dem Avis-Büro. Es flimmerte ein wenig vor meinen Augen, nicht nur wegen der Hitze. Ich holte drei-bis viermal tief Luft, um meinen Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen.
    Bei Avis tauschte ich den Jeep gegen eine schnelle Audi-Limousine, und als ich auf die Autobahn einbog und das Tempo erhöhte, wurde ich ruhiger. Aber ich blickte häufig in den Rückspiegel, um zu prüfen, ob ein Mercedes oder eine Funkstreife hinter mir her war. Erst im Flugzeug nach Madrid fühlte ich mich ganz sicher. Ich schob eine CD mit Grateful Dead in meinen Discman und stellte meinen Sitz zurück. Das Flugzeug war nur halb voll. Langsam änderten wir die Richtung, das Mittelmeer verschwand, und wir schlugen den Kurs über das große, leere Innere Spaniens ein, während die bekannte, tödlich aufreizende Lust auf einen Drink mein Bewußtsein in Besitz nahm.
    Ich dachte an Amelia und Maria Luisa und bat die Stewardeß um eine Cola, während mich das Flugzeug nach Madrid und nach Hause brachte.
     
    2
    Glücklicherweise wartete auf dem Barajas-Flughafen niemand auf mich. Er war belebt und geschäftig wie immer, aber ich fand ohne Mühe ein Taxi in die Stadt. Madrid lag unter einer blauvioletten Glocke, die von der aufziehenden Nacht und dem Smog herstammte, den die Hitzewelle der letzten Tage über diesem großen Steinhaufen auf der kastilischen Hochebene aufgestaut hatte. Seit bald einem Vierteljahrhundert war die Stadt mein Zuhause on and off und seit meiner Hochzeit vor acht Jahren verschwendete ich keinen Gedanken daran, vor hier wieder wegzuziehen. Ich war kein Nomade mehr, sondern seßhaft geworden. Ich hatte mich immer als ewigen Wanderer mit rastlosen Füßen verstanden, der dort wohnte, wo er seinen Hut hinhängte, aber nun war ich wie ein Bauer, der auf seiner Scholle verwurzelt war. Ich hatte mich niedergelassen und gedieh dabei so prächtig, daß ich mich hin und wieder vor der Nemesis fürchtete. Nicht in Form von Gewalt oder Unglück.
    Das konnte ich mir nicht vorstellen. Eher fürchtete ich, daß Rastlosigkeit und Unruhe mit alter Kraft zurückkehren und mich von dem Ort wegholen könnten, an dem ich mich so glücklich und geborgen fühlte.
    Ein Sportkanal auf der Mittelwelle quasselte auf dem ganzen Weg ins Zentrum im dichten, hupenden, aggressiven Abendverkehr. Dem Taxifahrer ging es anscheinend wie mir. Er hatte keine Lust zu reden. Er war ein magerer, schlanker Marokkaner, der vermutlich weder eine
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