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Der Aufbewarier (German Edition)

Der Aufbewarier (German Edition)

Titel: Der Aufbewarier (German Edition)
Autoren: Béla Bolten
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muss unbedingt mit Weidt persönlich sprechen.«
    »Dann bringe ich dich gleich ins Büro, um diese Zeit diktiert er immer seine Briefe.«
    Die Frau, Carla hatte ihren Namen vergessen, führte die Besucherin durch die Werkstatt und die sich anschließenden Lager- und Büroräume. Überall wurde gearbeitet, und jedes Mal, wenn sie einen neuen Raum betrat, sah Carla den gleichen ängstlichen Blick, der sich erst aufhellte, wenn man sie erkannte.
    Otto Weidt saß hinter seinem blank polierten Schreibtisch, der von einer Hängelampe nur spärlich beleuchtet wurde. Er war ein hagerer Mann, und seine Kleidung - er trug stets einen seinem Status als Unternehmer angemessenen zweireihigen Anzug mit exakt gebundener Krawatte - schien eine Nummer zu groß. Seine aufrechte Gesinnung spiegelte sich in seiner Haltung. Mit geradem Rückgrat saß er auf einem unbequemen Holzstuhl, das Gesicht seiner Sekretärin zugewandt. Hätte man Carla gebeten, Otto Weidt zu beschreiben, sie hätte zuerst seine Ohren beschrieben, die für sein Gesicht viel zu groß schienen, so als müssten sie anatomisch ein Gegengewicht zum fehlenden Augenlicht bilden.
    »Guten Tag, Herr Weidt«, sagte Carla sofort, nachdem sie den Raum betreten hatte, und nannte dazu ihren Namen. Weidt erkannte zwar die meisten Menschen am Klang ihrer Stimme, aber sie fand es unhöflich, ihn rätseln zu lassen.
    Weidt wandte sich Carla zu. »Einen Moment bitte, ich möchte diesen Brief noch diktieren.«
    Weidts Sekretärin deutete auf den zweiten Stuhl vor dem Schreibtisch, und Carla setzte sich. Der Brief war an das »Wehrmacht-Beschaffungsamt Bekleidung und Ausrüstung« gerichtet. Es ging um Probleme bei der Materialbeschaffung und Personalnöte. Weidt bat um eine längere Lieferfrist. Seine Blindenwerkstatt konnte nur deshalb für so viele Menschen zur Zuflucht werden, weil seine Produkte als kriegswichtig eingestuft waren. Auch an der Front brauchte man Bürsten und Besen. Als der Brief diktiert war, bat Weidt seine Sekretärin, ihn umgehend zu tippen. Nachdem sie den Raum verlassen hatte, wendete er sich Carla zu, ohne seine straffe, konzentrierte Körperhaltung aufzugeben.
    »Kurt?«
    »Ja, sie haben ihn abgeholt.«
    Weidt schloss für eine Sekunde die Augen und lehnte sich im Sessel zurück.
    »Ich habe davon gehört. Es gab heute Morgen anscheinend Massenverhaftungen in den Fabriken und Werkshallen. Meine Informanten widersprechen sich aber, was den Zweck der Aktion angeht und vor allem, was es für ‹Privilegierte› wie Kurt bedeutet.«
    Fast hätte Carla laut losgelacht. Was für ein Hohn war es doch, wenn man bei Menschen wie Kurt, die mit einem nichtjüdischen Partner verheiratet waren, von privilegierten Juden sprach, angesichts der Tatsache, dass sie Zwangsarbeit verrichten mussten, eine Lebensmittelkarte mit minimalen Rationen bekamen und nicht einmal die Badeanstalt besuchen durften. Außerdem fürchteten sie jeden Tag mehr, ihre Wohnung zu verlieren und in ein sogenanntes Judenhaus ziehen zu müssen. Und doch stimmte die Bezeichnung, denn für Juden war es ein unschätzbares Privileg, nicht in Viehwaggons gesteckt und gen Osten transportiert zu werden wie ihre Schwiegereltern.
    Carla beugte sich über den Schreibtisch und legte ihre Hand auf Weidts Arm. »Sie wissen also nicht, wo sie meinen Mann hingebracht haben?«
    Weidt schüttelte den Kopf. »Nein. Allerdings befürchte ich, dass sie jetzt tatsächlich alle Juden aus Berlin fortschaffen wollen. Goebbels hat angeblich angeordnet, die Stadt judenfrei zu machen.«
    Carla hatte das befürchtet, und doch spürte sie, wie die Nachricht eine Schockwelle durch ihren Körper jagte. Für eine Sekunde wurde ihr schwarz vor Augen. Sie atmete zwei Mal tief durch. Weidt spürte ihre Beklemmung und sagte ruhig:
    »Es wird Zeit, dass wir für Kurt eine andere Lösung finden. Ich glaube nicht, dass ihn die Ehe noch lange schützt. Im Gegenteil, vermutlich wird es sogar irgendwann für Sie gefährlich.«
    »Ich weiß, aber Sie kennen Kurt. Er ist so starrköpfig und will partout nicht in ein Versteck.«
    »Er wird sich schon noch eines Besseren besinnen. Ich strecke auf jeden Fall meine Fühler aus, es wird sich schon ein sicherer Ort für ihn finden lassen.«
    Weidt stand auf und ging um den Schreibtisch herum, die rechte Hand zur Orientierung an der Tischkante entlangführend. »Kommen Sie, Charly freut sich bestimmt über Ihren Besuch. Vielleicht bringt Sie das auf andere Gedanken.«

Acht
     
    Daut verspürte jedes
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