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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hüpft er wieder herum.«
    Er ließ Martha Kreutz zu seiner Pflege zurück und trat hinaus auf den Flur. Dort sah er Sellnow fragend an. »Was meinst du, Werner?«
    »Rettungslos.«
    »Und Sie, Schultheiß?«
    »Wir haben keinerlei Mittel für einen solchen Fall! Ich sehe keine Hoffnung.«
    Dr. Böhler nickte. Er war sehr ernst. »Es ist das erste Mal in fast zehn Jahren, daß wir einem Kameraden nicht helfen können«, sagte er leise. »Und gerade ihm, der vieles gutzumachen hat.« Er wandte sich ab und sagte im Gehen: »Gott straft schnell und hart … Wir sollten daraus sehen, daß Gott bei uns ist und uns nicht vergessen hat …«
    Selbst Sellnow blieb darauf still. Er dachte an die Abende in Nishnij Balykleij und die alte Bibel, in der er geblättert und versucht hatte, zu Gott zu finden im Augenblick der höchsten Not. Er hatte den Weg gefunden, der Spötter und Verächter Sellnow – aber er hatte ihn nicht weiter beschritten in den Monaten, in denen er in Stalingrad bei Pawlowitsch im goldenen Käfig der Genesung entgegenlebte.
    »Wir werden Traubenzucker injizieren, um seinen inneren Widerstand zu stärken«, sagte er zu Schultheiß. »Wenn er kollabiert, wissen Sie ja …« Er faßte den jungen Arzt am Arm und sah ihn groß an. »Sie kommen auch mit in die Heimat, Schultheiß?«
    »Ich hoffe es.«
    »Wir wollen immer zusammenhalten, mein Junge, ja? Wir wissen nicht, wie es aussieht in Deutschland. Es soll sehr viel zerstört worden sein in den letzten Kriegsmonaten! Ich habe in der Klinik darüber gelesen. Ich weiß nicht, was Sie zu Hause vorfinden. Wenn es Ihnen schlecht geht – Sie haben es als junger Arzt sicher verdammt schwer, das weiß ich –, dann kommen Sie zu mir. Ich bin immer für Sie da, und meine Frau schreibt, daß alles wie früher bei uns ist. Ich habe Glück gehabt, in der Heimat und hier noch mehr. Kommen Sie immer zu mir, wann Sie wollen …«
    »Ich danke Ihnen, Herr von Sellnow.« Schultheiß wollte ihm die Hand geben, aber Sellnow zog sie schnell zurück.
    »Dummer Laffe!« sagte er grob. »Sentimentalitäten! Im Leben kommt nur der voran, der die anderen in den Hintern tritt! Merken Sie sich das!«
    Er stapfte in sein Zimmer, wo die Kasalinsskaja saß und seine Socken stopfte. Er empfand das als Erniedrigung ihrer Würde, aber er schwieg, weil er sah, daß es ihr Freude machte. Sie lebt sich schon ein, meine Frau zu sein, dachte er manchmal erschrocken. Ich möchte sie nicht sehen, wenn ich in den Wagen steige, um für immer wegzufahren. Ich möchte es nicht sehen …
    »Sascha!« Die Kasalinsskaja lächelte ihn an. »Ich habe mit dem General in Stalingrad gesprochen. Ich werde nach Moskau fahren und darum bitten, daß sie dich hierlassen. Ich werde dich heiraten. Es soll einen Weg geben – wenn du dich für ein russisches Krankenhaus verpflichtest. Das tust du doch, Sascha, nicht wahr?«
    Er würgte und nickte dann stumm.
    »Ja«, sagte er endlich. »Ich werde es tun. Fahre du nach Moskau und bitte darum …«
    Er sah das Glück aus ihren Augen leuchten. Herr, hilf mir, betete er im stillen. Was soll ich tun? Ich muß sie belügen … laß bald Frühling werden, laß ihn schnell kommen … es geht über meine Kraft, sie noch länger zu belügen …
    Aus Moskau kamen neue Befehle. Nochmalige Überprüfung der zur Entlassung Vorgeschlagenen. Die Zahl soll um 259 vermehrt werden – ohne Verhöre, nur auf Vorschlag der Kommandanten.
    Und Worotilow setzte auch den gelähmten Walter Grosse auf die Liste, einen dürren Stecken harten Holzes, der atmete und ein Mensch war. Ein Vater von vier Kindern.
    Als die Sonne kam, wurde die Post gesperrt. Die Karten wurden zurückgeschickt an die Moskauer Zentrale. 683 Plennis wurden mit neuer Wäsche versorgt, sie bekamen neue Hosen und neue Jacken.
    Der erste Transport! Auch Dr. von Sellnow war dabei.
    Sie standen in einem weiten Karree auf dem Appellplatz.
    683 Plennis. In neuen Hosen, neuen Jacken, neuen Schuhen und neuen Socken. Worotilow, Markow und sieben andere Offiziere standen inmitten des von Menschenleibern eingezäunten Platzes und lasen noch einmal die Listen durch. Das »Hier!« der aufgerufenen Männer klang hell, befreiend, jauchzend in den blauen Himmel.
    Die Sonne leuchtete. Der Schnee wurde weich, breiig, er quietschte unter den Sohlen und klebte wie Leim an den Stiefeln und den Rädern der Wagen. Das Eis auf der Wolga krachte wie Böller. Sieben Arbeitskolonnen waren am Fluß, um mit Stangen und Sprengpatronen den Wasserlauf
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