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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad
Autoren: Heinz G. Konsalik
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haben mich belogen, Worotilow! Sie wußten, daß er bleibt! Sie haben es gewußt! Und ich muß gehen … ich lasse ihn allein zurück … Dr. Schultheiß geht auch … er glaubt auch daran, daß Böhler mit uns geht … Sie Schuft, Sie, Sie asiatisches Tier!«
    Worotilow duckte sich, aber er sprang nicht vor. Er sah dem tobenden Sellnow ins Gesicht und sagte leise: »Dr. Böhler stand als einer der ersten auf der Liste. Aber seine unbegreifliche Starrköpfigkeit, seine übertriebene Pflichtauffassung zwangen mich, ihn wieder zu streichen. Und wofür? Für einen Dreckskerl, für ein Nazischwein, einen SS-Schergen!«
    Sellnow sackte zusammen. »Er muß in Rußland bleiben. Warum gerade Böhler? Und ich … ich … ich …« Plötzlich schrie er auf und schnellte vor, ein Körper, der wie ein Geschoß wirkte. Er klammerte sich an den Rock Worotilows und schrie ihm ins Gesicht: »Ich bleibe auch! Ich gehe nicht früher, als bis er geht! Ich bleibe zurück!«
    Worotilow löste sich aus seinen Händen. »Es geht nicht, Sellnow«, sagte er fest. »Wer auf der letzten Liste steht, muß gehen, ob er will oder nicht!«
    »Dann werde ich einen umbringen!« schrie der Arzt. »Dann müßt ihr mich hier halten!«
    »Auch dann nicht! Sie werden nach Moskau geschafft … das ist der Befehl! Und wenn Sie hundert Menschen töten … Sie kommen nach Moskau, weil Moskau Ihren Namen hat und Sie zu sehen wünscht! Ganz gleich, was jetzt hier geschieht!«
    »Ich werde mich wehren!« Sellnow wich zurück.
    »Dann wird man Sie gewaltsam in den Wagen stecken! Sie kommen in die Heimat, ob Sie wollen oder nicht! Der Befehl aus Moskau steht über allem … und über einen Befehl haben wir nicht nachzudenken. Wir gehorchen!«
    Der Arzt drehte sich um, er riß die Tür auf und rannte aus dem Zimmer. Draußen bei den Wagen suchte man ihn bereits …
    Markow stand mit den Listen in der Hand vor Dr. Schultheiß und brüllte ihn an, wo Sellnow sei. Als er ihn aus der Kommandantur kommen sah, schoß er auf ihn zu und zog ihn am Ärmel zu den Wagen. »Dawai!« schrie er. »Dawai!«
    »Ich gehe nicht ohne Dr. Böhler!« Sellnow riß sich los und stürzte zu Dr. Schultheiß, der bleich vor dem Wagen stand, auf den er verladen werden sollte. »Er muß hierbleiben!« keuchte Sellnow. Sein Gesicht war verzerrt. »Er darf nicht mit …« Er klammerte sich an Dr. Schultheiß wie ein Ertrinkender. »Mein Junge … er verläßt uns … unser Chef, unser Fritz … Er bleibt in Rußland … an der Wolga …« Dann brach er zusammen und wurde von zwei anderen Plennis aufgefangen, die ihn in den Wagen hoben.
    Zögernd, wie ein Schlafwandler, stieg Dr. Schultheiß hinter ihm ein. Vom Führerhaus her schimpfte ein Russe, weil es so langsam voranging. Leutnant Markow rannte von Wagen zu Wagen und ließ das Gepäck nachwerfen. In der Nähe des Zaunes standen in Gruppen die Zurückbleibenden und starrten auf die Kameraden, die ihnen durch den Draht noch einmal zuwinkten. Ihre Gesichter waren hart, kantig, von Leid gefurcht. Stumm sahen sie zu und rauchten die Zigaretten, die man ihnen aus den Paketen der Abfahrenden gegeben hatte. Verlorene am Rande der Steppe …
    Emil Pelz und Karl Georg kamen über den Platz gehumpelt. Sie schleppten zwischen sich den glücklichen, vor Freude laut weinenden Walter Grosse. Große, harte, schwielige Hände streckten sich ihnen entgegen. Walter Grosse wurde auf den Wagen gehoben. Jetzt war er einer der ihrigen, ein Plenni, der nach Hause fuhr, zu Frau und Kindern, ein Mensch, der der Hölle entkam, dem man das Leben neu schenkte.
    Im Lazarett arbeitete Dr. Kresin. Sein mächtiges Gesicht war eingefallen und grau – er sprach seit Stunden kein Wort. Terufina Tschurilowa, Erna Bordner und ein neuer Sanitäter hielten die tobende Kasalinsskaja fest; sie fesselten sie mit dicken Stricken ans Bett und kämpften mit ihren Beinen, die verzweifelt in die Luft traten.
    »Laßt mich!« schrie die Kasalinsskaja. »Laßt mich los! Ich bringe ihn um, ihn und mich! Und Worotilow und dich, Kresin, du Scheusal, du Lügner, du Schuft, du Hund! Alle, alle habt ihr mich belogen! Ihr wußtet es!« Sie trat die Tschurilowa vor den Leib. Stöhnend brach sie zusammen. »Werner!« schrie Alexandra. »Werner! Du darfst nicht gehen! Laß mich nicht allein! Werner! Werner!« Schaum trat auf ihre Lippen, ihr kräftiger Körper zuckte in wilden Krämpfen.
    Dr. Kresin zog eine Spritze auf. Dann beugte er sich über den gefesselten Arm und stieß die Nadel in die
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