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Der arme Drache (German Edition)

Der arme Drache (German Edition)

Titel: Der arme Drache (German Edition)
Autoren: Simon Heiser
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los wurde.
    „ Du
lädst mich zu dir ein?“ fragte sie ungläubig.
    „ Nur,
wenn du willst“, entgegnete Oliver galant.
    „ Und
du wirst mich auch nicht auffressen?“
    „ Ich
esse nur Beeren und Baumrinde (er ließ unerwähnt, dass er
sich von Zeit zu Zeit ein kleines Waldmurmeltier oder ein Kaninchen
fing, wenn das Verlangen nach Fleisch zu groß wurde;
schließlich war er ein Drache). Von was anderem bekomme ich
Sodbrennen. Außerdem habe ich erst gegessen. Also, begleitest
du mich?“
    Noch
immer mit ein klein wenig Furcht im Herzen löste sich Marie von
ihrer Eiche und trat auf Oliver zu. Mit jedem Schritt funkelten die
Schuppen des Drachen in einem anderen Grünton und Marie konnte
sich kaum satt sehen. Selbst das durch graue Wolken gefilterte
Sonnenlicht des Winters, das meist nur ein schwacher Abklatsch des
sommerlichen Glühens war, benötigte kaum eine Anstrengung,
um ein faszinierendes Farbenspiel auf seinem Panzer zu erschaffen.
Wie würden erst die satten Strahlen eines brütenden
Junitages auf dieser makellosen Haut wirken? Über all dies
Sinnieren vergaß Marie für einen Moment die Kälte und
die Furcht und auch die Trauer um ihren Großvater und ging um
den kleinen Drachen herum, um sein glitzerndes Kleid von allen Seiten
zu bewundern. Oliver fühlte sich plötzlich wie etwas
Einzigartiges und Wunderbares, wie eine schöne Statue
vielleicht, und obwohl dieses Gefühl sehr angenehm war, wusste
er nicht, wie er damit umgehen sollte und grinste verlegen. Er kam
sich irgendwie albern vor und schämte sich ein Bisschen.
    „ Entschuldige“,
sagte Marie, blieb stehen und wurde rot wie eine Tomate. „Man
soll niemanden anstarren, das hat mir mein Großvater
beigebracht. Ich habe meine Manieren vergessen. Es ist nur so, dass
...“
    „ Du
noch nie einen Drachen gesehen hast“, vollendete Oliver den
Satz des Mädchens. „Das macht nichts. Ich habe auch erst
sehr wenige Haare … Mädchen … äh, Menschen
gesehen.“ Er grinste verschmitzt, wie ein kleiner
Menschenjunge, der den Klassenschwarm zum Spielen einladen will
grinsen mochte und schüttelte den Kopf. Dann sagte er ein wenig
selbstbewusster, doch ohne Marie anzusehen: „Komm, ich zeige
dir den Weg zu meiner Höhle.“

    Die
Beiden wanderten gemeinsam eine kurze Strecke, wobei Oliver sorgsam
darauf achtete, dornige Gebüsche von Marie fernzuhalten, und
erreichten schließlich die Behausung des Drachen.
    Die
Höhle war, genau wie Oliver, nicht sonderlich groß, doch
ebenfalls sehr schön anzusehen. Trotz der Kälte und des
Winters wuchsen dicke Efeuranken um ihre Öffnung herum und ihr
Rücken war mit sattem Moos bedeckt.
    "Bist
du ein Zauberer?" fragte Marie den Drachen, als sie vor der
Höhle stehenblieb.
    "Nicht
dass ich wüsste", entgegnete Oliver verblüfft.
    Er
hatte noch nie darüber nachgedacht, dass er hier Winter für
Winter eines Wunders gewahr wurde. Jetzt, da er es recht bedachte,
fiel ihm auch auf, dass auf der weiß-bedeckten Kuppe des Hügels
sogar die Laubbäume noch Blätter trugen. Dies war der Magie
zu verantworten, die jedem Angehörigen seiner Rasse zu eigen
war. Ein guter Drache brachte die Umgebung, in der er hauste zum
Blühen, seine Macht sorgte gar dafür, dass um seine
Wohnstätte herum das ganze Jahr Frühling herrschte, mit
allem was dazu gehörte. Zwitschernde Vögel im Dezember,
duftende Blumen im Übermaß und fidele Tiere, die
normalerweise Winterschlaf hielten. Um die Höhlen eines bösen
Drachen wiederum war das Land oft vertrocknet und leblos, eine Ödnis
voll mit abgenagten Knochen und rostiger Rüstungsteile besiegter
Krieger, die im fauligen Regen vermoderten.
    All
das konnte Oliver natürlich nicht wissen, denn es waren
Drachengeheimnisse und er zählte ja keine anderen Drachen zu
seinem Bekanntenkreis, die ihn hätten einweihen können. Für
ihn waren diese Umstände so alltäglich und unauffällig
wie sein eigener Schweif. Erst Marie führte ihm einen anderen
Blickwinkel vor Augen.
    „ Dann
bist du ein besonders begabter Gärtner?“
    „ Nein“,
antwortete er und blickte voller neu erwachtem Stolz auf seine Höhle.
„Die Pflanzen sind eine Laune von Mutter Natur. Vielleicht mag
sie mich.“
    Nachdem
sie eine Weile schweigend beieinander gestanden hatten sprach Oliver:
    „ Es
ist kalt, komm doch herein.“
    Obwohl
der sanfte Hügel, der die Höhle beherbergte, möglicherweise
unverstellbar tief in das Innere der Erde führen konnte, hatte
Marie weniger Angst als befürchtet. Wenn außen alles
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