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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag
Autoren: Stephen King
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von …
    Sie wissen, wie man an einem sonnenhellen Tag die Augen schließen und ein Nachbild dessen sehen kann, was man gerade betrachtet? So war es auch hier. Wenn ich meinen Fuß ansah, sah ich ihn auf dem Linoleum stehen. Aber wenn ich blinzelte, sah ich meinen Fuß ganz kurz – eine Millisekunde bevor ich die Augen schloss, vielleicht auch eine Millisekunde danach, das konnte ich nicht sagen – auf einer hölzernen Treppenstufe. Und auch nicht im trüben Licht einer Fünfundzwanzigwattfunzel, sondern in hellem Sonnenschein.
    Ich erstarrte.
    »Weiter«, sagte Al. »Keine Angst, dir passiert nichts, Kumpel. Geh einfach weiter.« Er hustete bellend, dann sagte er in einer Art verzweifeltem Knurren: »Du musst es für mich tun.«
    Also tat ich es.
    Gott, steh mir bei, ich tat es.

Kapitel 2
    KAPITEL 2
    1
    Ich machte einen weiteren Schritt vorwärts und stieg die nächste Stufe hinunter. Meine Augen sagten mir, dass ich auf dem Boden des Vorratsraums von Al’s Diner stand, aber ich stand aufrecht, und mein Scheitel streifte nicht mehr die Aluminiumdecke. Was natürlich unmöglich war. Als Reaktion auf meine Sinnesverwirrung verkrampfte mein Magen sich missvergnügt, und ich konnte spüren, wie das Eiersalatsandwich und das Stück Apfelkuchen vom Mittagessen sich darauf vorbereiteten, gleich die Auswurftaste zu drücken.
    Hinter mir – aber aus einiger Entfernung, als stünde er nicht anderthalb, sondern fünfzehn Meter weit weg – sagte Al: »Mach die Augen zu, Kumpel, dann ist es leichter.«
    Als ich das tat, verflog die Sinnesverwirrung schlagartig. Es war, als hörte man auf zu schielen. Oder noch eher, als setzte man in einem 3-D -Film die Spezialbrille auf. Ich bewegte meinen rechten Fuß und ging eine weitere Stufe hinunter. Ich war auf einer Treppe; daran hatte mein Körper bei geschlossenen Augen keinen Zweifel.
    »Noch zwei, dann mach sie auf«, sagte Al. Seine Stimme klang weiter entfernt denn je. Als stünde er nicht an der Tür des Vorratsraums, sondern am anderen Ende des Diners.
    Ich setzte den linken Fuß nach unten. Als ich den rechten folgen ließ, hatte ich plötzlich ein Knacken in den Ohren, wie im Flugzeug, wenn der Kabinendruck plötzlich abfällt. Die Dunkelheit vor meinen Augen verfärbte sich rot, und ich spürte Wärme auf der Haut. Ich war in der Sonne. Das stand außer Zweifel. Und dieser schwache Schwefelgeruch war stärker geworden, war auf der sensorischen Skala von kaum wahrnehmbar auf deutlich unangenehm angestiegen. Auch das stand außer Zweifel.
    Ich öffnete die Augen.
    Ich war nicht mehr in dem Vorratsraum. Ich war auch nicht mehr in Al’s Diner. Obwohl der Vorratsraum keine Tür nach drau ßen hatte, war ich im Freien. Ich stand auf dem Hof. Aber er war nicht mehr gepflastert, nicht von Outlet Stores umgeben. Ich stand auf rissigem, schmutzigem Beton. An der kahlen, weißen Wand, wo Your Maine Snuggery hätte sein sollen, standen mehrere riesige Stahlbehälter. Sie waren mit etwas vollgepackt, was mit Planen aus grobem Sackleinen abgedeckt war.
    Ich drehte mich nach dem großen silbrigen Trailer von Al’s Diner um, aber das Lokal war verschwunden.
    2
    Wo es hätte stehen sollen, ragte die gewaltige dickenssche Masse der Worumbo Mills & Weaving auf, und sie war in vollem Betrieb. Ich konnte das Rumpeln der Färber und Trockner, das Schat- USCH -schat- USCH der gewaltigen Webstühle hören, die früher den ersten Stock ausgefüllt hatten (Bilder dieser Maschinen, die von Kopftuch tragenden Frauen in Overalls bedient wurden, hatte ich in dem winzigen Gebäude der Lisbon Historical Society in der Upper Main Street gesehen). Weiß-grauer Rauch quoll aus den drei hohen Fabrikkaminen, die in den Achtzigerjahren bei einem großen Sturm eingestürzt waren.
    Ich stand neben einem großen, grün gestrichenen Gebäudewürfel, dem Trockenschuppen, wie ich vermutete. Er füllte den halben Hof aus und ragte ungefähr sechs Meter hoch auf. Ich war eine Treppe herabgekommen, aber hier gab es keine Treppe. Keinen Weg zurück. Panik durchflutete mich.
    »Jake?« Das war Als Stimme, aber sie klang sehr schwach. Sie schien meine Ohren nur durch einen akustischen Trick zu erreichen – wie eine Stimme, die sich meilenweit durch einen schmalen Canyon wand. »Zurück kommst du, wie du hingekommen bist. Du musst nach den Stufen tasten.«
    Ich hob den linken Fuß, brachte ihn leicht nach vorn und ertastete eine Stufe. Meine Panik ließ nach.
    »Geh jetzt.« Schwach. Eine Stimme, die ihre Energie aus
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