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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition)
Autoren: Heinrich Steinfest
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ich kaum glauben konnte.
    Ein Mann trat ein. Ein Mann im Anzug, ein Weißer, also von der Hautfarbe her ein Weißer, so wie man früher sagte: ein Schwarzer. Er setzte sich an die Bettkante. Wegen der Art, mit der er Platz nahm und dabei seine Fingerkuppen zu einem Münchner Olympiadach zusammenschloß, dachte ich, er müsse hier der Arzt sein. Doch als er seinen Kopf anhob, erkannte ich ihn endlich als einen Kollegen aus meinem Weyland-Team. Er berichtete mir, was geschehen war, wie da ein gestrandeter und schließlich verendeter Pottwal, der größte, den es je an die taiwanische Küste gespült hatte, zum Zwecke einer wissenschaftlichen Untersuchung auf einen Laster gehievt und zur Universität auf der anderen Seite der Stadt gebracht worden war. Um dann genau auf diesem Weg, inmitten der Metropole, inmitten frühmorgendlichen Verkehrs, zu explodieren.
    »Eine Gasexplosion«, sagte der Mann und meinte die Gärgase, die sich am hinteren Ende des Tiers einen Ausgang verschafft und den Mageninhalt und andere Teile mit großer Wucht ins Freie befördert hatten. Das »Freie« war in diesem Fall die Straße gewesen: die Häuser, die Lokale und Geschäfte, die geparkten Autos, die Passanten. Und einer von ihnen, der Unglücklichste, war eben ich gewesen. Wäre ich nur einen halben Meter weiter … eine Sekunde früher oder später …
    War ich aber nicht.
    »Saublöd!« tönte der Mann im Anzug. »Muß der blöde Fisch ausgerechnet dann explodieren, wenn du grad an der Straßenecke stehst. Du hast ein Stück von dem Monster voll abbekommen. Eine Niere oder so. Das müssen die noch rausfinden. Wobei’s ja eigentlich egal ist. Bei der Geschwindigkeit wird ohnehin alles hart wie ein Ziegelstein. Das hätte ganz anders ausgehen können. Aber ich sag mal so: Besser, es trifft dich die Niere von so einem Bullen als dem sein Schwanz, gell?«
    Er lachte laut auf und schickte sich an, mir auf die Schulter zu klopfen. Ließ es dann aber bleiben und erklärte vertrauensvoll: »Die sagen, du wirst völlig gesund, versprochen. Die Ärztin wird dir das bestätigen. Sie kommt gleich. Ein wenig eine Strenge. Aber immerhin, sie ist Deutsche. Keine Angst also.«
    »Ich habe keine Angst«, versicherte ich ihm.
    »Du solltest aber schon zusehen, rasch auf die Beine zu kommen. Du weißt ja, was Maître Schmidt vom Kranksein hält.«
    Schmidt saß im Vorstand und bildete sich viel darauf ein, gefürchtet zu sein. Ich fand das eigentlich ganz okay, daß er zu der Angst, die er auslöste, auch stand, stolz war, Schrecken zu verbreiten, und nicht etwa den Wohltäter spielte, der er nicht war, die anderen aber auch nicht. Richtig, er neigte zur Wut, wenn einer seiner Zöglinge und Höflinge ausfiel. Für ihn gab es kein Fremdverschulden und keine höhere Gewalt. Er sagte gerne: »Ein Unglück kündigt sich immer an. Wer aber zu blöd ist, eine solche Ankündigung zu erkennen, ist falsch bei Weyland.«
    So gesehen, würde ich einige Mühe haben zu erklären, wie es hatte geschehen können, einem explodierenden Wal in die Quere gekommen zu sein.
    Mein Kollege meinte: »Vor allem beeil dich, den Verband von deinem Kopf runterzukriegen. Das schaut wirklich scheiße aus.«
    Ich dankte für den freundlichen Hinweis.
    »Gerne, Sixten«, sagte er und löste seine Fingerkuppen. Das Olympiastadion fiel auseinander.
    Sixten , das war mein Vorname, schwedisch, wegen meines Vaters, der von dort stammte, während die Familie meiner Mutter angeblich schon so lange in Köln lebte, wie Köln existierte. Einen Nichtkölner zu heiraten war eigentlich verboten gewesen, andererseits gab es Schlimmeres als die Schweden, viel Schlimmeres. Und immerhin hatte mein Vater eingewilligt, den Familiennamen meiner Mutter anzunehmen. Das war ihre Bedingung gewesen, damals, 1976 , im Jahr der Eherechtsreform, die solches ermöglichte. Er selbst hatte sich erst durchsetzen können, als zwei Jahre danach die Wahl eines Vornamens für mich zur Diskussion stand. – Meines Vaters kleiner schwedischer Sieg. Man taufte mich Sixten. Meiner Mutter hingegen verdankte ich den nicht gerade originellen Familiennamen Braun. Sixten Braun. Wenn man es aussprach, klang es eher englisch als deutsch oder schwedisch. Im Busineß kein Nachteil.
    Der Weyland-Kollege beugte sich jetzt nahe zu mir hin und sagte: »Du weißt ja, was Schmidt immer sagt: von einem Auto überfahren werden und trotzdem nicht tot sein.«
    Richtig, Schmidt zitierte gerne Robert De Niro in der Rolle eines
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