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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition)
Autoren: Heinrich Steinfest
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reich war man ja schon. Es zählten allein die Bilder. Die Entscheidungen, die ich traf, wären keine anderen gewesen, hätte ich mich nicht einladen lassen. Aber ich hätte mich dann außerhalb des Symbols gestellt und damit auch außerhalb der Ordnung, gewissermaßen in einen rechtsfreien Raum. Ich wäre in meiner Verweigerung praktisch zum Kriminellen geworden.
    Ich trat aus dem Badezimmer und wollte der Kleinen zu verstehen geben, sie könne gehen. Daß es vollkommen ausreiche, mich einen Abend lang angekichert und schlußendlich auch noch eine Flasche Champagner geöffnet zu haben. Sie zu trinken sei nicht nötig. In den Abfluß geschüttet, hätte sie die gleiche Bedeutung wie in den Leib geschüttet. Es wäre allein ein Sakrileg gewesen, den Champagner zurückzuschicken und damit die taiwanischen Partner, das Hotel, den Kellner, den Importeur von Champagner in Taiwan, ja gewissermaßen eine ganze Kultur zu beleidigen.
    Doch als ich nun aus dem Bad kam, war das Mädchen verschwunden. Das Zimmer gähnte. Ich sah auf die Uhr. Meine Güte, ich war eine ganze Stunde auf dem Klodeckel gesessen. Wahrscheinlich hatte die bezahlte Kichererbse gemeint, ich sei in der Badewanne eingeschlafen. Allerdings war das hier gar nicht das Hotel, in dem ich wohnte. Andererseits war alles bereits beglichen, und ich hätte mich augenblicklich ins Bett legen können – ein Designerbett, das aber eher wie der Entwurf zu einem Bett als ein zu Ende gedachtes und zu Ende gebautes aussah.
    Nein, ich wollte hier nicht schlafen.
    Ich griff nach meinem Jackett, verließ den Raum, verließ das Gebäude und trat hinaus auf die morgendlich helle Straße, um mein eigenes Hotel zu suchen, hatte allerdings nicht einmal mehr dessen Namen im Kopf. Ich ging los ohne Plan.
    Ohne Plan? Nicht ganz. Ohne einen solchen zu sein, mußte noch lange nicht heißen, daß es keinen gäbe.
    Offenbar hatte jener Dämon, den wir das Schicksal nennen (wie man eine Bombe Little Boy nennt oder einen Kinderdrescher Krampus oder einen, der Krokodile verprügelt, Kasperl ), das allergrößte Interesse, mich genau in jenem Augenblick die Straße hinuntermarschieren zu lassen, als eben – halb sieben Uhr in der Früh, der Berufsverkehr in vollem Gange – der Laster mit dem Pottwal vorbeifuhr und mich in ungläubiges Staunen und eine steinerne Körperhaltung versetzte.
    Und während ich da fassungslos stand ...
    Auch im nachhinein wurde nicht klar, was genau von dem Wal – Teil eines Gedärms oder Teil eines Organs – es gewesen war, das mich mit voller Wucht im Gesicht getroffen hatte. Die Explosion hatte ich gar nicht wahrgenommen, den Knall nicht, nicht den sich öffnenden Tierleib, aus dem das Blut spritzte und die Umgebung in ein Actionpainting verwandelte, sondern allein das dunkle Stück, das auf mich zuflog und dessen Dunkelheit mich sogleich vollständig einhüllte.
    Im Film wäre es jetzt zwei oder drei Sekunden schwarz und still gewesen.

2
    Im wirklichen Leben dauerte es etwas länger. Als ich zu mir kam, wurde die absolute Schwärze von einer absoluten Weiße ersetzt, als hätten ein paar katholische Anstreicher – Polen natürlich – den Tod aufgehellt.
    Aber ich war nicht gestorben. Nachdem die Umgebung sich nach und nach vom Eindruck einer milchigen Ummantelung befreite, begriff ich, in einem Krankenhausbett zu liegen. Neben mir die üblichen Geräte, deren Geräusche und optischen Signale mir bewiesen, am Leben zu sein. Ja, ich konnte mein Herz schreiben sehen. In Schönschrift. Sehr sauber, aber ohne eigenen Stil, ein Durchschnittsherz halt. Von der Seite fiel Tageslicht durch ein hohes Fenster. Dazu ein Geruch, der weniger an Chemie als an Nudelsuppe erinnerte. Vielleicht bloß wegen des Hungers, der mich augenblicklich quälte.
    Eine Krankenschwester erschien. Weder kicherte sie, noch war ein Mitgefühl in ihrem Gesicht. Sie sprach kein Wort, überprüfte allein die Apparaturen. Eine Chinesin. Was die Vermutung nahelegte, mich noch immer in Tainan zu befinden.
    Ich griff mir an den Kopf und spürte den Verband, der meinen Kopf turbanartig umgab. Mein Gedächtnis freilich funktionierte, ich litt nicht etwa an einer Amnesie. Lag keineswegs neben mir wie neben einem Fremden. Alles war bestens in Erinnerung: das Hotel, die Straße, der Laster, der Wal. Und wie irgend etwas aus dem Wal herausgeschossen war. Gleich einem Torpedo. Einem Torpedo, der zielgenau in meinem Gesicht aufgeschlagen war. Soviel wußte ich. Aber es war ein Wissen, welches
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