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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition)
Autoren: Heinrich Steinfest
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Kollegen und ich, viel in der Welt unterwegs waren. An Orten, wo es unhöflich gewesen wäre, sich freundlichen Einladungen zu diesem oder jenem Vergnügen zu verweigern. Moralisch zu werden, statt höflich zu bleiben. Vegetarier zu sein angesichts der von Fleischbergen sich biegenden Tische. (Das war übrigens in der Tat die erste Frage gewesen, als ich mich um diesen Job beworben hatte. Ob ich Vegetarier sei. Wow! Was für eine Frage für jemanden, der in die IT-Branche will. Wobei schon klar gewesen war, die Frage könne allein metaphorisch gemeint sein. Weshalb ich keine Sekunde gezögert hatte, ganz grundsätzlich den Fleischkonsum zu bejahen. – Anscheinend die richtige Antwort.)
    Die Menschheit befand sich in einem Jahr, das eben begonnen hatte und die Zahl 2004 trug. Es war Mitte Januar. Ich selbst hielt mich in Tainan auf, einer Stadt im südlichen Taiwan. – Seit ein paar Jahren fuhr ich in Asien herum, ohne je ein Gefühl der Vertrautheit entwickelt zu haben. Aber wäre es denn viel anders gewesen, hätte ich den Norden Deutschlands beackert, das Ruhrgebiet, das fröhliche Frankreich oder die unheimliche Schweiz? Sicher nicht! – Ich war zu dieser Zeit für ein Unternehmen namens Weyland Europe tätig, den Ableger eines amerikanischen Konzerns, der in den Vereinigten Staaten nur in der Fiktion mehrerer Filme und des Internets existierte, auf dem europäischen Kontinent aber Wirklichkeit geworden war. So, als hätte jemand auf der Rückseite des Globus eine Romanfigur erfunden, die dann auf der Vorderseite tatsächlich das Licht dieser Welt erblickte.
    Weyland Europe war also real, wenigstens in einem börsennotierten Sinn, und konzentrierte sich auf die Entwicklung, die Produktion und den Verkauf von Mikroprozessoren. Ich erklärte oft zum Spaß, wir würden mit Bakterien handeln, weil die ja auch so klein sind. Wobei ich mich weniger um den Vertrieb als um die Herstellung kümmerte. Die Bedingungen der Herstellung. Um das Wo und Wie.
    Ich will nicht behaupten, man kriegt so was hin, wenn man sich ständig ans Herz greift und einem das Herz vom vielen Hingreifen ganz weich wird. Die Frage ist immer: Was wollen wir? Wollen wir eine gerechte Welt? Was ist denn gerecht? Bessere Arbeitsbedingungen für die armen Schweine? Mein Gott, dann hätte ich aber nicht in Asien herumfahren dürfen, um geeignete Orte für die Produktion zu finden. Wenn die Leute daheim jammern, an diesem oder jenem Ding klebt so viel Blut, kann ich nur sagen: Na klar! Würde nicht Blut dran kleben, wäre es nicht so günstig. Wir wollen konsumieren. Und ich sage das ganz deutlich: Es gibt solche Waren nicht, an denen kein Blut klebt. Auch wenn »Bio« draufsteht oder »Glutenfrei« oder eben »Blutfrei«. Irgendwann werden die Entwickler auf die Idee kommen, Biopanzer herzustellen, Panzer, die, nachdem sie genügend oft geschossen haben, zu Kompost zerfallen oder sich in Joghurtbecher verwandeln. Oder sie erfinden Geschosse, die Kindern und Frauen ausweichen und nur die Männer erwischen. (Um noch mal auf den Vegetarismus zu kommen: Klar, da gibt es jetzt immer mehr Produkte. Das sind solche, bei denen praktisch das Blut heruntergewaschen wird, bevor sie auf den Markt kommen. Dafür zahlt man dann etwas mehr, fürs Waschen.)
    Ich bin kein Zyniker. Zynisch sind die, die allen Ernstes meinen, an einem Computer zu arbeiten, auf dem ein angebissener Apfel klebt, sei irgendwie wohltätig. Oder Nudeln zu essen, in denen kein Ei steckt. Als seien solche Nudeln vom lieben Gott persönlich vorgekaut worden.
    Ich saß da also mit einem Gefühl leichten Schwindels in diesem Fünf-Sterne-Badezimmer und fragte mich, was ich tun sollte, wenn ich wieder draußen war bei dem kichernden Mädchen. Ich dachte mir: »Gib ihr einen Geldschein, und schick sie nach Hause.« Aber das war natürlich Blödsinn, weil ja alles bereits bezahlt war, jeder Whisky und jede Prostituierte, sämtliche Shrimps und die Zigarren, die gestern auf meinem Zimmer gelegen hatten. Nicht, daß ich rauchte. Mußte ich auch nicht. Zigarren waren ein Symbol, alles war ein Symbol. Auch die Mädchen. Es ging nicht um die Befriedigung, die sich daraus ergab, befriedigt zu werden oder sich tatsächlich eine Zigarre anzuzünden. Sondern darum, daß das Symbol in die Welt getragen wurde und man selbst in diesem Symbol aufging. Sperma war dabei sowenig das Thema wie Tabak. Es drehte sich auch nicht wirklich um Bestechung im Sinne einer Bereicherung. Denn reich oder zumindest halbwegs
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