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Der Alchimist

Der Alchimist

Titel: Der Alchimist
Autoren: Paulo Coelho
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daß Afrika so nah war. Das bedeutete auch eine große Gefahr: Die Mauren könnten jederzeit wieder angreifen. Der Wind begann stärker zu blasen.
    >Ich stehe zwischen den Schafen und dem Schatz<, dachte der Jüngling. Nun mußte er sich zwischen etwas Vertrautem und etwas, was er gerne besitzen würde, entscheiden. Da gab es auch noch das Mädchen, aber sie war nicht so wichtig wie die Schafe, weil sie nicht auf ihn angewiesen war. Vielleicht würde sie sich seiner nicht mal mehr erinnern. Jedenfalls war er sicher, daß, wenn er in zwei Tagen nicht erschien, sie es nicht einmal bemerken würde: Für sie war ein Tag wie der andere, und wenn alle Tage gleich sind, dann bemerkt man auch nicht mehr die guten Dinge, die einem im Leben widerfahren.
    >Ich bin von meinem Vater, meiner Mutter und der Burg in meiner Heimatstadt fortgegangen. Sie haben sich daran gewöhnt, genauso wie ich mich daran gewöhnt habe. Also werden sich die Schafe auch an meine Abwesenheit gewöhnen, überlegte er. Von hier oben konnte er den Platz gut überblicken. Der Eisverkäufer verkaufte noch immer sein Eis. Ein junges Pärchen nahm auf der Bank Platz, wo er sich mit dem Alten unterhalten hatte, und tauschte einen langen Kuß. »Ja, der Eisverkäufer«, sagte er vor sich hin, ohne jedoch den Satz zu beenden, da der Levante Wind nun stärker blies und er ihn auf dem Gesicht spürte. Er brachte zwar die Mauren, aber er brachte auch den Duft der Wüste und der verschleierten Frauen. Er brachte den Schweiß und die Träume von Männern, die eines Tages ins Unbekannte aufgebrochen waren, auf der Suche nach Gold, nach Abenteuern - und den Pyramiden. Der Jüngling begann, den Wind um seine Freiheit zu beneiden, und merkte, daß er genauso frei sein könnte. Nichts hinderte ihn daran, außer er selber. Die Schafe, die Tochter des Händlers, die Weiden von Andalusien waren alle nur einzelne Schritte auf seinem persönlichen Lebensweg gewesen.
12
    Am nächsten Tag traf sich der Jüngling mittags mit dem Alten. Er hatte sechs Schafe mitgebracht.
    »Ich bin überrascht«, sagte der Jüngling, »mein Freund hat mir sofort alle übrigen Schafe abgekauft. Er meinte, daß er schon immer davon geträumt habe, Hirte zu sein, und dies sei ein gutes Zeichen.« »Das ist immer so«, bemerkte der Alte. »Wir nennen es das Günstige Prinzip. Wenn du zum ersten Mal ein Glücksspiel riskierst, wirst du mit großer Wahrscheinlichkeit gewinnen. Anfängerglück.« »Aber warum?« »Weil das Leben will, daß du deinen persönlichen Lebensweg einhältst.« Dann untersuchte er die Schafe und stellte fest, daß eines lahmte. Der Jüngling versicherte, dies sei nicht so wesentlich, weil es das intelligenteste war und auch viel Wolle produzierte.
    »Wo befindet sich also der Schatz?« fragte er.
    »Der Schatz liegt in Ägypten bei den Pyramiden.« Der junge Mann erschrak. Das gleiche hatte schon die Alte behauptet, aber nichts dafür genommen.
    »Um dorthin zu gelangen, mußt du den Zeichen folgen. Gott zeichnet den Weg vor, den jeder Mensch gehen soll. Du mußt also nur erkennen, was er für dich aufgezeichnet hat.« Bevor der Jüngling etwas sagen konnte, flatterte ein Schmetterling zwischen ihm und dem Alten hin und her. Da mußte er an seinen Großvater denken: Als er noch ein Kind war, hatte ihm der Großvater erzählt, daß Schmetterlinge Glück bringen. Wie Grillen, vierblättriger Klee und Hufeisen.
    »Das stimmt«, sagte der Alte, der seine Gedanken lesen konnte. »Es ist, wie dein Großvater dich lehrte. Das sind die Zeichen.« Dann öffnete er den Mantel, der seine Brust verdeckte, und der Jüngling war beeindruckt von dem, was er sah, und erinnerte sich an das Leuchten, das er am vorigen Tag bemerkt hatte: Der Alte hatte einen Brustpanzer aus purem Gold, bedeckt mit bunten Edelsteinen. Er mußte tatsächlich ein König sein. Wahrscheinlich war er nur in den Mantel gehüllt, um den Räubern zu entkommen.
    »Nimm«, sagte der Alte und entnahm aus der Mitte des goldenen Brustpanzers einen weißen und einen schwarzen Stein. »Sie heißen Urim und Thummim. Der schwarze bedeutet ja und der weiße nein. Wenn du also die Zeichen nicht selber erkennen kannst, werden sie dir nützlich sein. Stelle immer eine objektive Frage. Aber auf jeden Fall ist es besser, wenn du deine Entscheidungen selber fällst. Daß der Schatz bei den Pyramiden liegt, wußtest du bereits; aber du mußtest sechs Schafe einbüßen, weil ich dir half, eine Entscheidung zu treffen.« Der Jüngling
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