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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau
Autoren: Andreas Gößling
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zuckend goldenem Dämmerlicht. Markéta zündete Kerzen an und verteilte sie auf Tisch und Schemeln. Ich will ihn sehen, dachte sie, sein Gesicht, den Glanz in seinen Augen, wenn seine Seele wiederkehrt.
    Julius lag unter den Decken, wie sie ihn gebettet hatte, und sah mit angespannter Miene zum Samthimmel auf, wo das Messingglöckchen schaukelte.
    Rasch warf Markéta ihr Gewand ab, löste ihre Haare und glitt zu ihm unter den Pfuhl. Erschauernd spürte sie die heiße Härte seines Leibes, der sich an den ihren drängte.
    »Mein lieber Herr«, flüsterte sie, »so leidenschaftlich wart Ihr lange nicht mit mir. Entsinnt Ihr Euch: wie ich einmal erwachte und Ihr mich ansaht voll inniger Zärtlichkeit? Wie Ihr mich küsstet und Eure Augen wie von Tränen glänzten? Wie wir uns liebten, so zart, so einig, als ob wir ein einziger Mensch wären, mit zwei Leibern, aber einer Seele nur?«
    Julius war auf sie geglitten, rhythmisch bewegte sich die blasse Scheibe seines Gesichtes über ihr. Sein Mund war halb geöffnet, sein Atem ging keuchend, seine Augen funkelten im Kerzenlicht.
    »O mein Herr, mein lieber Herr, Ihr weint ja!«, flüsterte Markéta.
    »Hat Euch die Erinnerung so sehr angerührt? Ach Julius, wie töricht, dass ich davon geredet hab!«
    Immer wilder bewegte er sich auf ihr, immer heißer tropften seine Tränen auf sie herab. Markétas Beine umschlangen seine Mitte, ihre Hände krallten sich in seine Schultern. Auch ihre Augen brannten, es war die absonderlichste Vermischung von Leidenschaft und Schmerz. Sie jauchzten und weinten, der burgunderrote Glockenstrang tanzte im Rhythmus ihrer Leiber, und noch immer hatte Julius kein Wort gesagt.
    Und Markéta schaute in sein Gesicht, das über ihr auf und nieder schwebte, und sah auf einmal, wie ein gewaltiger Sturm aufkam, durch Wälder und Täler wirbelte und den majestätischen Schmetterling mit sich riss. Im tosenden Wind flog der rot und schwarz gefleckte Seelenfalter hoch und immer höher in den Himmel empor, die Larve fiel ab von ihm und trudelte zur Erde zurück, wo der Puppenmacher stand und dem Schmetterling hinterhersah, den Kopf weit in den Nacken gelegt.
    »O mein Herr, geliebter Herr«, stammelte Markéta, »seid Ihr zu mir zurückgekehrt?«
    Julius sah forschend auf sie herab, die Augenbrauen zusammengezogen. Er öffnete den Mund, und Markéta wartete mit angehaltenem Atem, ob er ihren Namen flüstern, auf irgendeine Weise zeigen würde, dass er sich erinnerte, wer sie war und wo er sich befand. Aber dann schüttelte er nur den Kopf, mit trauriger Miene, und ließ sich neben sie auf den Rücken fallen.
    »Schsch«, machte Markéta. Sie beugte sich über ihn und küsste ihm Träne um Träne aus den Augenwinkeln, bis sein Atem endlich wieder ruhig ging. »Alles wird gut, mein Geliebter.«
    Die Kerzen waren heruntergebrannt, das Feuer zusammengesunken zu einem Häuflein funkelnder Glut. An seine Brust geschmiegt, schlief Markéta ein.

  89
     
     
    Als sie zu sich kam, lag er nicht mehr bei ihr, und vor dem Fenster starb die Nacht. Sie zündete eine Kerze an, ihr Blick glitt zum Schemel neben der Tür: Sein Mantel und die Krone lagen nicht mehr dort. Und doch dachte sie sich nichts Arges.
    Gestern Abend hatte seine Seele begonnen, sich dem Griff der Satanskrallen zu entwinden. Selbst wenn sie ihn gleich wieder auf seinem Thronsessel vorfinden würde, sagte sich Markéta, im zerschlissenen Krönungsmantel, die Krone auf dem Haupt, die Augen starr auf das vermaledeite Porträt gerichtet, so blieb es doch wahr, dass die Macht des Lumpenteufels gestern erschüttert worden war.
    Ich muss Geduld haben, beschwor sich Markéta, warf die Decken zur Seite und sprang aus dem Bett. Fröstelnd wollte sie nach ihrem Kleid greifen, da hörte sie einen scharfen, ratschenden Klang vom Salon her, warf mit fliegenden Fingern bloß ihr Nachtgewand über und zog die Tür auf.
    Leer lag der Salon im grauen Morgenlicht. Unten in der Stadt wurde eben die Stunde geschlagen, mit angehaltenem Atem zählte sie mit, während sie barfüßig über die Schwelle tappte: vier dumpfe und zwei dünnere Schläge, halb fünf.
    »Julius?«
    Keine Antwort. Sie zog das Hemd über ihrer Brust zusammen, schlaftrunken ging sie auf den Prunksessel zu und versuchte zu begreifen, was passiert war. Offenbar hatte er seine Gemächer verlassen, allein, aus eigenem Antrieb, zum ersten Mal seit jenem Dezembertag, als der Puppenmacher mit Flor davongeflogen war.
    Da sollte sie sich doch freuen, dass
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