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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau
Autoren: Andreas Gößling
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Zwirn und Lumpen auch nur eine einzige Fadenpuppe schuf. Aber vielleicht war die Rede von den »Pippchen«, die er zu machen verstehe, auch viel hintersinniger gemeint. Ständig schien Hezilows Miene anzudeuten, dass er allein wisse, wie sich die Dinge in Wirklichkeit verhielten, während sich alle andern von Irrtümern und Vorspiegelungen täuschen ließen – ob hier drinnen im Badehaus, draußen in den Straßen von Krumau oder selbst im fernen Prag, wo er angeblich monatelang seine »kihnen Kinste« ausgeübt hatte, auf Befehl »Ihrer Kajserlichen Majestät«.
    Anders als dem Vater war ihr der Russe sofort herzlich zuwider gewesen, als er vor acht Tagen, gleichfalls zu früher Morgenstunde, zum ersten Mal bei ihnen erschienen war. Seither hatte sich ihre Abneigung gegen den verzwergten Mann nur noch weiter verfestigt. Alles an ihm ekelte sie an: Hezilows unauslotbar hintersinnige Reden und das weibische Maul im schwarzen Bartgestrüpp, die höckrige Verwachsung in seinem Nacken und die schüttere Haarwolle, die seines Leibes Dürftigkeit wie mit schwarzem Draht überzog; selbst seine weißen, feingliedrigen, überbeweglichen Hände, die zuweilen mit geiler Tücke nach ihr schnappten, wenn sie seinem Zuber zu nahe kam. Seit einer Woche hatte Jurij Hezilow fast jede Vormittagsstunde in der Pichler’schen Badestube verbracht.
    Heute aber schien Markéta sein Gebaren nicht nur dreist, sondern regelrecht feindselig. Wonach nur verrenkte er sich wieder und wieder den Hals? Obwohl er endlich in seinen Zuber gestiegen und bis zu den Schultern ins dampfende Wasser getaucht war, ließ er weiterhin seine Blicke in Nischen und Winkel, vom Kamin zur Schwitzstubentür und von der Stiege zurück zum schwitzenden Bader schweifen. Beinahe so, dachte sie, als ob der Russe etwas suchte, das der Vater oder sie vor ihm versteckt hätten und auf das allein er ein Anrecht besäße.
    Etwas – oder jemanden? Hastig senkte sie den Blick und beeilte sich, den Fleck neben der Bodentür vollends trockenzureiben, bis von den Umrissen des liegenden Flor nichts mehr zu erkennen war. Unsinn, dachte sie dabei, was sollte der Puppenmacher denn gerade mit Flor zu tun haben? Seit Wochen trieben sich Dutzende zwielichtiger Fremder in der Stadt herum, aber zwischen den Gesellen vom Schlage Hezilows und dem elfenhaften Flor konnte es ja keine Gemeinsamkeit geben.
    Einen Augenblick lang lauschte sie noch in die Tiefe, aus dem Gewölbe unter der Falltür drang kein Laut empor. Als kleines Mädchen hatte sie sich manchmal dort unten versteckt, zum Schrecken ihrer Mutter, der schon damals die geringfügigsten Vorfälle albenschwer aufs Gemüt gesunken waren. Wie lange das her war – ihre kindliche Neugier, der Schimmelgeruch unten im Keller, das vor Sorge verzerrte Lächeln der Mutter –, und wie nah es ihr gleichwohl auf einmal schien. Gewaltsam zwang sie ihre Gedanken von der lieben Mutter wieder fort, deren verzweifelte Miene, geweitete Augen, unablässig auf-und zuschnappende Lippen schon wieder aus Traumestiefe zu ihr emporsteigen wollten. Das Gewölbe unter der Badestube jedenfalls, das wusste Markéta seit ihrer Kindheit, war so niedrig, dass ein Erwachsener sich nur gebückt drin bewegen konnte, aber auch so geräumig, dass man sich dort unten für Stunden oder Tage verbergen konnte, ohne dass die Atemluft knapp wurde.
    »Ob das Pippchen wohl so gietig wär, Mäjster Hezilow einen Kratzer zu reichen? Mäjn ich Rückenkratzer natürlich, denn Schenkelkratzer hat Hezilow selbst.«
    Markéta hob den Kopf und sah direkt in Hezilows Frätzlein voller Bartgestrüpp und Warzen, das ihr, von Dampfschwaden umwabert, über dem Zuberrand entgegenfeixte. Sie sprang auf und wollte ihn eben mit einer patzigen Antwort in die Schranken weisen, da fing sie einen Blick ihres Vaters auf, der mit dem Kinn zur Stiege wies.
    Hinter der massigen Gestalt des Baders trottete sie abermals das Dutzend abgetretener Stufen hinauf und folgte ihm in die Wohnstube. Wie trostlos es hier aussieht, dachte sie auf einmal, nicht schmutzig oder gar verwahrlost, denn sie selbst und Vater Sigmund achteten peinlich auf Ordnung und Sauberkeit. Aber früher hatte die Mutter an jedem Tag frische Blumen auf dem Boden ausgestreut und die Zimmer ihrer kleinen Wohnung einfach durch ihre Gegenwart mit Wärme und Liebe erfüllt. Seit der Vater jedoch an jenem schrecklichen Morgen erwacht war und seine schlaftrunkene Hand eine totenkalte Schulter ertastet hatte – seitdem war nichts mehr wie
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