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Depeche Mode

Depeche Mode

Titel: Depeche Mode
Autoren: Serhij Zhadan
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schon den vierten Tag hintereinander seine Schäfchen, hält drei Predigten am Tag, hat hier schon seinen eigenen Fanclub, alle sind fasziniert von Hochwürdens verrotztem Geflenne, das eine Tussie in grauem offiziellem Kostüm dolmetscht, sie arbeitet als Hochwürdens Dolmetscherin, versteht ihn aber offensichtlich nicht, jedenfalls übersetzt sie, wie es grade kommt, Hochwürden selbst hat aber anscheinend keine Böcke, sie zu korrigieren, die göttliche Offenbarung packt ihn, er ist ganz high während der Predigt, sogar Kiffer kommen zu seinen Veranstaltungen, sie verstehen den Alten auf ihre Art, internationale Solidarität der Zugedröhnten, denen sich, jedem auf seine Weise natürlich, Gottes Mysterium offenbart, sind also gemeinsam high, noch dazu mit Musik.
    Und diese Musik machen eben sie, Hochwürden hat ein strenges Casting durchgeführt, fast alles Studenten vom Konservatorium, nur Little Chuck Berry kommt vom Punk, ihn hat Hochwürden wegen seines Rhythmusgefühls genommen, überhaupt war nicht die Ausbildung entscheidend, Hauptsache, sie machen sich gut auf der Bühne, also keine Juden, keine Mongolen, auf keinen Fall Schwarze, mit einem Wort, ein echtes Nazischwein, aber das gefällt den Leuten.
    Hochwürden putscht sich in der Maske auf, schluckt irgendwelche Pillen, trinkt Unmengen koffeinfreien Kaffee, rezitiert laut Auszüge aus der Holy Bible und will die Dolmetscherin dazu bringen, sie zu wiederholen, die Dolmetscherin schweigt düster, Hochwürden kommt dadurch nur noch mehr in Fahrt, kriegt schon die ersten Anfälle göttlicher Offenbarung, bei ihm ist das wie Durchfall, es zerreißt ihn einfach. Da kommt einer von der Verwaltung, es wird Zeit, sagt er, Zeit zu gehen, die Leute warten schon, Hochwürden schlürft aus einem großen Plastikbecher seinen cleanen Kaffee, etwas tropft auf sein schneeweißes Hemd, shit, sagt er, fuckin' shit, die Dolmetscherin versucht, das für den Typen von der Verwaltung zu übersetzen, aber der winkt ab. Okay, sagt Hochwürden, dann knöpf ich mich eben bis oben zu, wie die Austern, wie Schnecken, wie Octopusse, mit einem Wort, wir leben alle unter Gottes Sonne, fügt er hinzu und geht hinaus in den Korridor. Hinter den Kulissen, fast schon auf der Bühne, hält Hochwürden für einen Moment inne, sein Blick fällt auf einen fülligen jungen Kerl in sandfarbenem Anzug, gar nicht übel, der Junge, denkt Hochwürden und bremst ab. Wer bist du? fragt er, und im Halbdunkel blitzt das Gehäuse seiner Armbanduhr kurz auf, Kakao erstarrt, es verschlägt ihm die Sprache, was schweigst du denn? wird Hochwürden ungeduldig, hast du einen Namen? Kakao nickt mit seinem großen Kopf, aber seinen Namen sagt er nicht. Na gut, Hochwürden verliert den letzten Rest Geduld, Gottes Gnade ist groß, auch solchen Schissern wie dir wird sie zuteil, die Dolmetscherin will das übersetzen, aber Hochwürden unterbricht sie – später, später, sagt er und betritt die Bühne, dabei trägt er schwer an seinem gelben, flammenden Nimbus.
    Kakao starrt auf die Stelle, wo eben noch Hochwürden gestanden hat, kommt nur langsam wieder zu sich und sucht auf Wattebeinen nach dem Klo, findet es schließlich, schließt mit letzter Kraft die Tür, kriecht in die Kabine und beginnt zu kotzen. Ist mir schon länger aufgefallen – wenn er sich aufregt, Streß hat oder so, kotzt er immer, Schicksal, vor Prüfungen ist er überhaupt nicht ansprechbar, armer Kerl. »O mein Gott, – denkt Kakao, – O mein Gott. Bin das wirklich ich, bin wirklich ich es, den dieser Mann eben angesprochen hat? Das kann nicht sein, ich weiß natürlich, was ich wert bin, habe nette Freunde, meine Mutter arbeitet in einer Bibliothek, in Makijiwka kennt man mich und in Milowe auch, aber das! Ich weiß gar nicht, was ich denken soll«, – denkt er und fängt wieder an zu kotzen. »So was, – denkt er, als er fertiggekotzt hat, – das kann ich keinem erzählen, niemand wird mir glauben. Werden sagen, ich spinne. Scheiße, ich glaub mir selber nicht – habe mein Leben gelebt, mich um meine eigenen Angelegenheiten gekümmert, niemanden gestört, niemanden verpfiffen, vielleicht ist das jetzt der Dank Gottes. Wie sonst, wie sonst – ich versteh einfach nicht, womit ich es verdient habe, daß mich, einfach mich direkt, ein Mann anspricht, DER EINE GOLDENE ROLEX AM ARM HAT!!!«
    Kakao beugt sich noch einmal über die Schüssel und sieht auf dem Boden, direkt daneben, einen Stapel Broschüren mit Predigten von Hochwürden,
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