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Denn wer zuletzt stirbt

Denn wer zuletzt stirbt

Titel: Denn wer zuletzt stirbt
Autoren: Christoph Spielberg
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gehorchen ihm nicht, er muß sofort aussteigen. Aber das Kabinendach klemmt, und er ist zu schwach, es zu öffnen. Immer mehr englische Jäger beteiligen sich an der Jagd auf ihn, immer dichter rast seine Messerschmitt auf das brennende London zu. In wenigen Sekunden wird sein Körper zerquetscht, in tausend Stücke zerrissen, in brennendem Flugbenzin verbrannt sein. Hatte er eigentlich die Bomben ausgeklinkt?
    Plötzlich erlöschen die eben noch nervös blinkenden Warnlämpchen. Das Flugzeug liegt wieder stabil auf Kurs, die Spitfires sind verschwunden. Friedliche Stille im Cockpit, Sonnenaufgang über dem Kanal, am Horizont grüßt schon die Küste der Normandie. Gleich dahinter kann er die Rehwiese erkennen, sein Lieblingsblick vom Wintergarten aus. Alles wird gut.
    Herbert Winters Herz stellte seine Tätigkeit um 00:08 Uhr ein. Genau acht Minuten, nachdem die Infusionspumpe wegen einer Störung in den Sicherheitsmodus gewechselt war und dann abgeschaltet hatte.

1

    Ich steckte mir eine neue Zigarette an, die dritte an diesem Abend. Meine Freundin Celine findet, ich spiele Russisch Roulette, wenn ich jeweils zu Silvester die Erinnerung an den Sieg über meine Willensschwäche und Suchtstruktur mit ein paar Zigaretten feiere. Doch bisher wenigstens haben die Silvesterzigaretten nicht zu einer erneuten Raucherkarriere geführt, vielleicht bin ich am Ende nicht ganz so willensschwach, wie Celine vermutet.
    »Möchtest du auch noch eine?«
    Im Schein meines Feuerzeuges konsultierte Schwester Renate, jung und hübsch wie immer, ihre Armbanduhr und schüttelte den Kopf. Es war kurz vor halb zwölf. Ein kalter Tropfen schlich sich aus ihrer roten Weihnachtsmann-Nase und kullerte langsam in Richtung ihres Kußmundes.
    »Nein, danke. Ich glaube, ich gehe lieber rüber auf Station und helfe Käthe. Wer weiß, was deine Patienten heute nacht anstellen. Zuletzt machen sie wieder Polonäse über alle Flure wie zu Weihnachten!«
    »Meine Patienten können im Schnitt auf hundertzwanzig Silvesternächte zurückblicken und haben zur Feier des Tages einen kräftigen Punsch bekommen. Ich habe höchstpersönlich noch eine Flasche Asbach Uralt aus meinen privaten Beständen hineingeschüttet. Die rühren sich bis morgen mittag nicht, nicht die kleinste Muskelfaser.«
    Renate tippelte von einem Bein aufs andere – wegen der Kälte, schien mir damals.
    »Ich weiß nicht. Ich gehe lieber mal gucken. Käthe würde nie von selbst nach Hilfe rufen. Vielleicht bin ich noch pünktlich zum Anstoßen zurück. Falls nicht – schönes neues Jahr, Felix!«
    Daß sie Käthe helfen wollte, war ausgesprochen nett von Renate, denn Renate hatte heute offiziell dienstfrei. Aber Käthe war seit Jahren ihre Freundin und würde mit ihrer Hilfe sicher schneller auf der Station fertig werden. Schwester Renate gab mir einen nicht nur freundschaftlichen Kuß und ließ mich, die Hände tief in den Taschen ihres schwarzen Wintermantels vergraben, mit einem ausdrucksvollen Schwung ihrer Hüften alleine vor dem ehemaligen Wirtschaftstrakt unserer Klinik stehen. Alleine stimmt nicht ganz – immerhin leistete mir noch Väterchen Frost Gesellschaft. Meine militanteren Nichtraucher-Kollegen wollten auch zu Silvester nicht vom Volkskiller Nr. 1, dem Passivrauchen, dahingerafft werden. Mein Hinweis, daß sich ohne den frühen Tod der aktiven Raucher ihre Rentenbeiträge mindestens verdoppeln würden, änderte ihre Haltung nicht.
    Der Brauch, Silvester gemeinsam in der Klinik zu verbringen, hatte mit dem Jahreswechsel 1999/2000 begonnen. Angesteckt von der allgemeinen Hysterie, daß neben dem Weltuntergang auch der Ausfall unserer Stromversorgung, unserer Beatmungsgeräte, unserer Infusionspumpen und von tausend anderen lebenswichtigen Dingen, die abzusichern wir vielleicht übersehen hatten, drohte, war es seinerzeit zum Streit gekommen, wer vom Personal Silvester in der Klinik verbringen müsse. Und da wir uns nicht einigen konnten, beziehungsweise es schien, als beträfe das Problem potentiell sowieso fast jeden, hatte jemand vorgeschlagen, wir könnten doch einfach gemeinsam in der Klinik feiern und beobachten, wie am 1. Januar 2000 um null Uhr die Welt zusammenbricht.
    Nichts dergleichen war geschehen, aber es wurde trotzdem ein lustiges Fest. Und da unser ehemaliger Wirtschaftstrakt nach dem Outsourcing von Wäscherei, Patienten- und Personalverpflegung ohnehin leer stand, hatten wir ihn mit dieser Nacht als großen Partykeller in Besitz genommen. Komplett mit
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