Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Denn wer zuletzt stirbt

Denn wer zuletzt stirbt

Titel: Denn wer zuletzt stirbt
Autoren: Christoph Spielberg
Vom Netzwerk:
alles, was Sie für mich getan haben.«
    Was ich für ihn getan hatte? Wenigstens teilte er nicht die Meinung des Kollegen Valenta, daß ich ihn fast umgebracht hätte, wobei die Umstände Valenta inzwischen recht gaben. Ich erzählte Winter nichts davon. Nichts vom Ausfall der Infusionspumpe und erst recht nichts von der falschen Sicherung. Ich glaube nicht, daß dies die Stabilisierung seines Gesundheitszustandes gefördert hätte.
    Wie Winter so auf seinem Bett saß, ein freundlicher alter Herr, keine Bedrohung für niemanden, konnte ich mir nicht vorstellen, warum jemand versucht haben sollte, ihn umzubringen. Hatte man ihn verwechselt? Nur, mir fiel auch kein anderer Patient auf meiner geriatrischen Station als offensichtliches Opfer für einen Mordanschlag ein.
    Wir wechselten einige Belanglosigkeiten, er dankte mir noch ein paarmal, ich sagte wiederholt »keine Ursache« und verabschiedete mich, denn es gab noch Arbeit.
    Im Gegensatz zu dem hohen Patientendurchlauf in den Akutabteilungen unserer Klinik betreue ich meine Patienten so lange, daß ich kaum je ihre Unterlagen konsultieren muß. Ihre Probleme sind mir bekannt, und in der Regel stehen in der Geriatrie die medizinischen Fragen ohnehin nicht im Vordergrund. Aber Winter war ein paar Tage nicht mein Patient gewesen, also mußte ich mir seine Akte von der Intensivstation anschauen: Hatte Valenta die Medikation umgestellt? Wie waren seine aktuellen Blutzuckerwerte? Mußten irgendwelche Laborwerte kontrolliert werden? Solche Sachen eben.
    Es lag an unserer Art von Bürokratie: Wenn die Intensivstation einen Patienten aufnimmt, ist es egal, ob der neu in unser Krankenhaus gekommen ist oder innerhalb des Hauses zu ihnen verlegt wurde, es wird in jedem Fall eine neue Akte angelegt, wieder mit Namen, Geburtsdatum, Adresse, Krankenversicherung und so weiter. Hier traf mich der zweite Hammer des Tages – diese Adresse hatte ich mir erst vor zwei Tagen beim Telefonieren auf den Rand der Neujahrszeitung notiert. Offensichtlich war mir am Neujahrstag in Nikolassee die Wohnung meines Patienten Herbert Winter zum Kauf angeboten worden!

    Mein Thema für den Rest des Tages war klar: Was tun? Von Idee Nummer eins, die Polizei einzuschalten, kam ich schnell wieder ab. Die Indizienlage war noch etwas schwach: eine durchgebrannte falsche Sicherung (wahrscheinlich mit lediglich meinen Fingerabdrücken), eine zum Verkauf anstehende Wohnung, nicht einmal eine Leiche. Außerdem, Verwaltungsleiterin Beate würde im Sechseck springen: Polizei im Haus, schlecht für das Klinikimage. Schließlich hatten wir es auch während der gesamten Affäre um die »russische Spende« geschafft, die Polizei herauszuhalten.
    Und Beate würde zu Recht im Sechseck springen – schließlich ging es um die Silvesternacht, und der Dienstplan für diese Nacht existierte nur formal, da wir sowieso alle in der Klinik feierten. Wer von uns war wo und wann für wen eingesprungen? Wer hatte es wem versprochen, im Lauf des Abends aber wieder getauscht? Waren die, die neben dem Feiern auch gearbeitet hatten, wirklich nüchtern gewesen? Tatsächlich stand unseren Kranken zu keiner anderen Nacht des Jahres eine so komplette Klinikmannschaft zur Verfügung, und doch würde ein entsprechender Zeitungsartikel wenigstens zwischen den Zeilen den Eindruck erwecken, daß unsere Patienten in der Silvesternacht hilflos in den Betten liegen, feigen Mordanschlägen wehrlos ausgeliefert, während sich das Klinikpersonal im alten Wirtschaftstrakt vollaufen läßt. Hinzu kam, daß man Winter vernehmen würde, und bis sich sein Zustand wirklich stabilisiert hatte, wollte ich ihn nicht mit einem eventuellen Anschlag auf sein Leben konfrontieren.
    Mein letztes Argument gegen die Einschaltung der Polizei beruht auf eigener Erfahrung: Bei der Vorliebe von Polizei und Staatsanwaltschaft, sich im Zweifel an den ersten Besten zu halten, vorzugsweise an den Kläger, wäre wahrscheinlich in kürzester Zeit ich ihr Hauptverdächtiger. »Wer, Dr. Hoffmann, ist denn letztlich für die Funktionsfähigkeit dieser Infusionspumpen auf Ihrer Station verantwortlich?« – »Wo waren Sie eigentlich, als diese Pumpe ausfiel?« – »Warum hatten Sie den Patienten in seinem kritischen Zustand nicht auf die Intensivstation verlegt? War das nicht sogar ein finanzieller Verlust für Ihre Klinik?« – »Wie kam es dazu, daß Sie schon am nächsten Tag die Wohnung des Opfers kaufen wollten?« Am Ende würden sie zwar nichts beweisen können, mir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher