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Den Tod im Blick- Numbers 1

Den Tod im Blick- Numbers 1

Titel: Den Tod im Blick- Numbers 1
Autoren: Rachel Ward
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existierte auch die Zahl. Ich war die Zahl und die Zahl war ich. Ich weiß nicht, ob sie noch irgendjemand auf der Welt sehen konnte oder ob die Zahlen, die diese Person sah, dieselben waren wie meine, aber sobald ich eine gesehen hatte, war’s das. Sie änderten sich nicht, sie verschwanden nicht. Anne hatte Recht: Ich war eine Zeugin, aber vielleicht nicht im üblichen Sinne. Ich bezeugte das Ende bestimmter Menschen an einem ganz bestimmten Tag.
    Es gab nur eine Möglichkeit, damit klarzukommen. Der einzige Weg, die Zahl zu löschen, war, die Person zu entfernen, die sie sah. Ich konnte nicht damit rechnen, dass die Schlüssel wieder in einer Schublade in der Sakristei lagen, aber ich wusste, Simon hatte seine immer dabei. Er sprach gerade in einem der Seitengänge mit Anne und die Schlüssel schimmerten in einem großen Bündel an seiner Hüfte. Ich lief auf ihn zu und griff danach. Ehe er kapierte, was ich tat, hatte ich sie von seinem Hosenbund gerissen. Ich schob ihn zur Seite und rannte zur Kirchturmtür. Es waren so viele Schlüssel, so viele, aber beim zweiten Versuch hatte ich den richtigen erwischt. Ich schaute nicht zurück, kein einziges Mal, sondern riss die Tür auf, schlüpfte hindurch, schlug sie hinter mir zu, verriegelte sie und sperrte damit all die erregten Stimmen aus, selbst die, die ich so gern hören wollte. Gerade die, die ich so gern hören wollte. Aber sie war in meinem Kopf, als ich die Wendeltreppe hochlief.
    »Jem, verdammte Scheiße, was …? Jem!«
    Als ich auf das Dach trat, peitschte mir der Regen waagrecht entgegen. Ich schloss die Tür am Ende der Treppe ab und ging vorsichtig rüber zum Turm. Innerhalb von Sekunden waren meine Sachen klatschnass und die Hose klebte an meinen Beinen. Als ich im Turm war, wusste ich, was ich zu tun hatte. Diesmal beachtete ich die andern Seitentüren gar nicht, sondern stieg einfach weiter, bis ich den Glöcknerraum fand. Dann rüber auf die andere Seite und die oberste Treppe rauf. Ich machte mir nicht mehr die Mühe, die letzte Tür zu verriegeln – die andern drei oder vier würden sie lang genug aufhalten. Wenn sie hier oben ankamen, wär es längst zu spät. Ich atmete schnell und schwer, meine Brust schmerzte von der Anstrengung. Meine Knie zitterten vom Treppensteigen und der Wind schlug mir entgegen und warf mich fast um. Ich legte beide Hände auf die steinerne Brüstung.
    Von tief unten hörte ich Rufe. Ich wollte vermeiden runterzuschauen und richtete den Blick auf die Dächer und die Berge dahinter.
    Ich wartete, bis ich wieder ein bisschen Luft kriegte, aber nicht so lange, dass das Adrenalin aufhörte, durch meinen Köper zu jagen. Die Augen auf den Horizont gerichtet, sprang ich leicht hoch und versuchte mich mit letzter Kraft auf die Steinmauer zu ziehen. Ich hockte einen Moment lang da und versuchte das Gleichgewicht zu finden, dann stand ich langsam, mit ausgebreiteten Armen auf.
    In dem Dachpool gegenüber schwammen eine Handvoll Leute und trotzten dem Sturm über ihnen. Ich wusste jetzt genau, dass ich nie eine von ihnen werden würde, ich würde nie was anderes sein, als ich war – ein Mädchen, das den Menschen in ihrer Umgebung fünfzehn Jahre lang Tod und Zerstörung gebracht hatte. Ein Mädchen, das dumm genug gewesen war, an die Liebe zu glauben, und jetzt wusste, dass es nur einen Weg gab, den Jungen zu retten, der sie liebte.
    Vielleicht hatte ich ja in Wahrheit meine eigene Zahl gesehen. Sie hatte sich die ganze Zeit in Spinnes Augen gespiegelt.
    15122010.
    Der Tag, an dem ich mich von allem verabschiedete.

KAPITEL 38
    Meine Zehen krallten sich in den Schuhen zusammen, als würde ich dadurch auf dem nassen Stein besser Halt finden. Ich versuchte so aufrecht zu stehen, wie ich nur konnte, dem Ende in Würde entgegenzusehen, doch Wind und Regen verhöhnten mich. Sie wussten, dass ich ein Winzling war, ein Nichts, und indem sie mich rumstießen und durchnässten, zeigten sie mir meine Grenzen auf. Es kostete überraschend viel Kraft, dort oben nur zu stehen – der Wind blies mir frontal entgegen und versuchte mich wieder zurück auf das flache Dach hinter mir zu werfen. Ich konnte mich in den Wind legen, ohne zu fallen, es sei denn, er würde sich plötzlich drehen; und wenn er sich legte, würde ich mit den Armen rudern, auf dem Mauerrand schwanken und spüren, wie sich die Zehen noch fester verkrallten.
    Ich glaub, das Denken war mein Fehler. Ich stieg nicht einfach hoch und sprang, das wär’s gewesen. Aber
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