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Den Oridongo hinauf (German Edition)

Den Oridongo hinauf (German Edition)

Titel: Den Oridongo hinauf (German Edition)
Autoren: Ingvar Ambjørnsen
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ihr seid zusammen Kinder, zusammen Jugendliche, und irgendwann entdeckt ihr einander auf neue und andere Weise, und dann geht die Natur ihren Gang und eine Generation folgt auf die andere. Für mich jedoch gibt es Müßiggang, Alleingang, das Leben scheint keine Verwendung für mich zu haben, als Kind kann ich nicht begreifen, warum ich in dieser fast unerträglichen Einsamkeit existiere, die ja notwendigerweise in der Gemeinschaft der anderen bestehen muss, es wird wie ein Hohn, nein, es ist ein Hohn. Sie verhöhnen mich. Am Ende verliere ich die Sprache, genauer gesagt, ich verweigere sie.
    Es ist, wie im Berg zu sein, Magne. Es ist geborgen und alles ist Stille. Jemand oder etwas scheint dich aus der Welt geholt und in eine Wiege aus Stein gelegt zu haben.
    Sie können dich nicht mehr erreichen.
    Was kann ich sagen, nur, dass ein Brief von einer Frau kommt, während ich noch tief in meiner eigenen Stille stecke, auf dem Weg diesen fieberfantasierten Strom hinauf, den Oridongo, der Name liegt so gut auf der Zunge, und das Bild der Höhle im Berg wechselt mit dem Bild der hitzeflirrenden Kabine, dem Anblick des Tropenwaldes, der langsam draußen vor dem Bullauge vorübergleitet, und dann schließt jemand die Tür auf, jemand stört mit Brot und Kaffee.
    Und einem Brief. Einem Brief einer Fremden. Das denke ich, verstehe ich automatisch, da ich fast keinen Menschen kenne, und schon gar keinen, der auf die Idee kommen könnte, mir einen Brief zu schreiben, ich kann mich ganz einfach nicht erinnern, jemals einen handgeschriebenen Brief erhalten zu haben, das denke ich jetzt, wo ich diesen Brief auf dem Tablett sehe, neben Kaffeetasse und Untertasse, und dann denke ich, wie seltsam es ist, dass ich jetzt, nach fast einem halben Jahrhundert auf der Erde, einen Brief erhalte, jetzt, wo kaum noch Briefe gewechselt werden, dass ich meinen ersten Brief in einem Alter von fast fünfzig Jahren erhalte, und das in einer Zeit, die dem Brief davongelaufen ist, und noch seltsamer: einen Brief von einer Frau. Das sagen mir die runden Formen und Schlingen der Schrift, und es ist so mit der Frau, dass selbst ein Mann, der so gut wie nichts mit Frauen zu tun gehabt hat, weiß, wie eine Frau schreibt, das weiß er einfach.
    Wie lange dauert es, bis ich den Brief öffne? Lange. Viele Tage.
    Die geschriebenen Wörter sind die ersten, die mich seit langer Zeit erreichen.
    Und sie, die Fremde, schreibt, dass sie am Strand entlang und über Wiesen geht, sie schreibt über das Meer und den hohen blauen Himmel, über die Wolken, die über das Land treiben, über Fische und Vögel und Einkaufsfahrten in einen Ort, der Laugen heißt. Sie schreibt nicht, dass sie ihren Mann verloren hat. Noch lange nicht.
    Daran denke ich, als ich hier unten im Keller aufräume, nachdem das Holländerhaus abgebrannt ist, ich schaue mich um, und wenn ich die Treppe hochgehe, dann gehe ich wieder in den Augenblick, zum Mittagessen, zum Abendessen, oder vielleicht hinaus in den Schuppen, wo das Holz mich erwartet, oder zum Kutter hinunter, und dann schlagen die Gedanken andere Bahnen ein, dann denke ich daran, was in den vergangenen zwei Monaten hier auf der Insel geschehen ist, und ich denke vor allem an Tom, ich habe es jetzt wohl aufgegeben, ihn zu öffnen, ich weiß nicht, was ich tun soll, ich glaube nicht, dass diese täglichen Besuche einen Sinn haben, er zeigt keinerlei Begeisterung, wenn er mich sieht, ich fühle mich so … gekränkt. Ich, der erwachsene Mann. Das ist doch lächerlich, aber mein ganzes Leben lang habe ich es mir gestattet, in solche törichten Zustände einzutreten, es hat keinen Zweck, das zu leugnen, aber ich habe es so satt, ihn an der Hand zu halten, ihn über die Wege und den Strand zu führen, während ich ihm allen möglichen Unsinn erzähle und hoffe, dass er das so spannend und witzig finden wird, dass er um mehr bittet, dass er zumindest eine einfache Frage stellen wird, vielleicht kurz lachen, aber dann passiert rein gar nichts. Ein Tag ist wie der andere, und seine Stummheit ist total, und es kommt vor, dass ich neben ihm gehen und mich wirklich zusammenreißen muss, damit ich ihm keine solide Maulschelle verpasse, um zu sehen, ob dann nichts passiert. Wein doch wenigstens hörbar! Nicht nur diese lautlosen Tränen! Selbst, als seine Hände hautlos waren, hielt er den Mund.
    Dann passiert es eines Tages, dass ich an dem unschönen Haus am Strand vorüberfahre. Das hatte ich nicht vor, aber als ich zur Einfahrt abbiegen will,
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