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Den Oridongo hinauf (German Edition)

Den Oridongo hinauf (German Edition)

Titel: Den Oridongo hinauf (German Edition)
Autoren: Ingvar Ambjørnsen
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wie ich es doch jeden Tag mache, um die Stummheit der Sphinx zu pflegen, fahre ich also vorbei und dann fahre ich um die halbe Insel und trinke eine Tasse Kaffee und esse in der Cafeteria im Gemeindehaus drüben in Laugen ein Stück Kuchen. Da sitze ich und trinke Kaffee und esse Kuchen mit dem Gefühl, zu schwänzen, zu betrügen, wegzulaufen, mich verantwortungslos zu benehmen. Wie so oft, wenn ich geschwänzt und auf diese Weise meine Mutter und mich selbst betrogen habe, damals als Grundschüler in der Satellitenstadt von Oslo. Das Gefühl war eine tiefe Erleichterung, ermöglicht durch eine schwere Entscheidung. Ich war gut erzogen, ein braver Junge, aber viele andere auf dem Schulhof waren das nicht. Jetzt, hier, ein Leben später, dasselbe Gefühl: Merkt irgendwer irgendwo, dass ich fehle? Und ich weiß, dass sie mich nicht anrufen wird, dass Evelyn nicht anrufen wird, denn wir haben nicht abgemacht, dass ich jeden Tag gegen zwölf kommen soll, das tue ich ganz freiwillig – und jetzt wirft meine Freiwilligkeit also Risse, jetzt siecht sie aus Mangel an Nahrung dahin. Wieder wie ein schwänzender Schuljunge: Ich finde allerlei Beschäftigungen, bis es Zeit wird, nach Hause zu gehen, ich fülle die zwei, drei Stunden, in denen ich sonst mit Tom zusammen bin, mit Cafébesuchen und einem Abstecher zum Fähranleger, ehe ich mit dem Moped zu Berit nach Hause fahre, die glücklicherweise schon lange nicht mehr fragt, wo ich gewesen bin.
    So mache ich es eine Woche lang. Die ganze Zeit mit dem seltsamen Gefühl, dass etwas um mich herum in Bewegung ist, aber das liegt natürlich nur daran, dass ich irgendwann, ziemlich bald, werde erklären müssen, warum ich Tom nicht mehr abhole, und dann kann ich ja antworten, oder ich kann es lassen, ich habe wie gesagt keinen Vertrag über das Auslüften von 1 Stk. Holländer unterschrieben, ich kann gern so stumm sein wie er, und wenn ich Lust bekomme, etwas zu sagen, dann kann ich ja einfach die Wahrheit servieren, nämlich, dass ich nicht glaube, dass das hier einen Sinn hat, dass ich ganz einfach nicht mehr will. Aber dennoch: Schon nach dem zweiten Tag fehlt er mir. Mir fehlt seine Hand in meiner. Mir fehlt nicht seine Stummheit, mir fehlt nicht seine Abwesenheit, aber mir fehlt seine Hand, denn die hat ihre eigene Sprache.
    Nachmittags verwandele ich das alte Mädchenzimmer in die maskuline Höhle, die ich mir ausgemalt habe. Bisher haben die dramatischen Ereignisse die Arbeit brachliegen lassen, genauer gesagt, das zerbrochene Bett lag als Bretterhaufen auf dem Boden, aber jetzt bringe ich mich mit allem ein, was ich habe, und das ist gar nicht wenig, wie sich herausstellt. Das ist überhaupt eine Erfahrung, die ich hier oben gemacht habe, nämlich, dass ich so allerlei kann, ohne es wirklich gelernt zu haben. Ich bin kein Heimwerker wie Arne Svendsen, der alles und noch ein wenig mehr meistert, aber so, wie ich sofort die Sache mit dem Holz draußen im Schuppen im Griff hatte, ohne jemals Holz gestapelt zu haben, stelle ich auch fest, dass Hammer und Nagel mein Leben lang meine Freunde waren, ohne sich zu erkennen zu geben. Mein erster Patient ist der alte Holzkasten unten beim Ofen, und dann geht es Schlag auf Schlag, so ist es einfach in alten Häusern. Sie werden immer wieder von Wind und Wetter angegriffen. Mit großer Freude stelle ich fest, dass ich den meisten Herausforderungen, die sich mir als Tischler stellen, gewachsen bin, und ich halte mich an dieser Freude fest, statt mich in der Trauer zu verlieren, die sich ebenfalls meldet, die Trauer darüber, diese Fähigkeiten, Eigenschaften erst jetzt zu entdecken, Herrgott, da habe ich mein Leben lang … Oben unter dem Dach in der Scheune finde ich weiteres Material, das du auf den längslaufenden Balken hinterlegt hast, Magne, vermutlich, um es vor der Feuchtigkeit zu beschützen, es sind breite Kiefernholzbretter, und daraus stelle ich die Querwände des neuen Bettes her, es wird schön und ein wenig rustikal, mit nicht behobelten Ecken, die stattdessen die ursprüngliche Form des Holzes bewahren. Und ich hole eine weitere Matratze vom Dachboden, damit wir beide hier liegen können, so oft sie will, ich habe in Laugen einen gebrauchten Flachbildschirm und ein DVD-Gerät aufgetan, ich kenne die vorherigen Besitzer kaum, die Leute hier oben sind nett, sie verlangen nur eine symbolische Summe.
    Wir essen. Draußen ist es schon ganz dunkel. Ich habe die Kartoffeln für sie und mich geschält. So will ich das. In
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