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Den Oridongo hinauf (German Edition)

Den Oridongo hinauf (German Edition)

Titel: Den Oridongo hinauf (German Edition)
Autoren: Ingvar Ambjørnsen
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Oridongo versunkenen Baumstämmen tief unter dem Kiel, über Würmer und Weichtiere, Fische und Reptilien, elektrische Schlangen und rosa Delfine, bis zu Vögeln und Wasserratten an der Oberfläche, Myriaden von Insekten, schwimmende Alligatoren und Menschen, Flusspferde, das ganze vor Hitze pochende Leben, das sich dort unten trifft, um sich abzukühlen und sich Kraft anzutrinken, Affen und Faultiere, die an Zweigen und Lianen hängen, Bienenschwärme, die in den grünen Kronen landen, die endlosen Reihen von Vogelarten, Schmetterlingen in allen Farben des Regenbogens, Pygmäen und Mao-Mao-Miliz, verrückte Stammesoberhäupter, Kopfjäger, kranke Abenteurer, Termiten in mannshohen Hügeln, geplünderte Dörfer, wo abgehackte Glieder zum Trocknen in den Bäumen hängen, Huren und Goldgräber, geheime Waffenlager und verborgene Städte – von allem kann man träumen, kann es in der Monotonie der Tage und Nächte ahnen, die vielen verschiedenen Geschmäcker von Obst und Gewürzen, die aus dem zerkochten Elend der Schiffskost hervorquellen, nein, nicht Elend, aus der Nüchternheit, die notwendigerweise an Bord herrschen muss, auf einem Schiff wie diesem, denn hier darf kein Luxus die Herrschaft an sich reißen, dafür gibt es keinen Platz, alles muss vor allem so sein, wie es ist, aus Gerechtigkeitsgründen, und weil es um Buße und Besserung geht, um einen Tag, der an den anderen gereiht wird, um verdiente Sehnsucht, denn darum geht es auf dieser Reise den Oridongo hinauf, um die inneren Gesichter und Visionen der Passagiere, im Gegensatz zu Zeit und Raum der Außenwelt, der Zeit und dem Raum, für die man nachts still liegen muss und – man kann nicht auf sie warten, muss aber versuchen, den Kontakt zu ihnen zu halten.
    Und das ist nicht schwer. Es ist leicht. Es ist leicht, einen Tag an den anderen zu reihen, eine Nacht an die andere, es ist leicht, Wochen zu Monaten werden zu lassen und Monate zu Jahren. Bald scheint die Zeit stillzustehen. Und du schläfst ein und du wachst auf, alles in einem einzigen unwirklichen Strom aus Bildern und Eindrücken, es gibt Fieber und Fantasie, seltsamerweise aber auch Erwachen, Klarsicht, die Vorstellung eines ganz neuen Alltags.
    Was machen wir mit denen, die nachts weinen?
    Nichts.
    Was machen wir mit denen, die sich aufhängen oder ihre Exkremente an die Wände schmieren? Nichts.
    Wir liegen ganz still da und warten.
    So, wie ich hier in dem feuchten und nach Schimmel riechenden Bettzeug liege, diesem überwinterten Bettzeug, wie viele Jahre, eins? Zwei? Drei? Und ich glaube, dich spüren zu können, dich zu ahnen, während du an einem anderen Ort auf dieser Insel liegst, zwischen den duftenden Decken im ersten Stock des Holländerhauses, wach oder im Schlaf, auf jeden Fall in deiner eigenen verschlossenen Welt, so wie ich in meiner weiterfahren musste, bis sie sich öffnete und zu einer anderen wurde.
    Das dachte ich wenigstens.
    Ich kann doch nicht schlafen, so, wie die Dinge jetzt liegen. Oder wie ich sie gelegt habe. Ich liege da und lausche den Geräuschen des Waldes. Dem ewigen Wind. Zweigen, die brechen. Kommt da jemand? Suchen sie mich jetzt? Soll ich das Telefon einschalten? Nur um zu sehen, wer?
    Ich schaffe es nicht. Ich bringe es nicht über mich.
    Andererseits bringe ich es auch nicht über mich, das nicht zu tun.
    Ich hatte gedacht und geglaubt, es sei vorbei. Nie wieder, nach der Sache mit Berit und mir in Viken. Aber stimmt das wirklich? Stimmt das wirklich?
    Ich nicke ein. Und fahre hoch, weil ein heftiger Regenguss auf das flache Hüttendach prasselt. Tropenregen. Regenzeit. Nicke wieder ein.
    Als an die Hüttentür geklopft wird, liegt graues Licht im Raum.
    Ich liege ganz still. Ich bin nicht da. Die Tür ist von innen abgeschlossen. Ich habe den Schlüssel in der Tasche. Hier ist niemand.
    Andererseits … es wird wieder geklopft. Hart. Wütend.
    Jemand, nicht jemand, sondern sie ruft da draußen meinen Namen. Meine Namen. Den alten und den neuen.
    Was tue ich ihr an? Ein Versprecher, und ich strafe sie auf diese Weise. Mit welchem Recht tue ich ihr das an?
    Ich stehe auf, ich habe in Hemd und Hose geschlafen, alles ist feucht, ich friere und ziehe meinen Pullover an, das hilft nichts. Ich bin völlig durchgefroren.
    Trotzdem zittere ich nicht vor Kälte.
    Als ich aufschließe, sehe ich sie auf der morschen Veranda stehen, das Regenwasser läuft ihr aus den Haaren und über das Gesicht. In ihrem Blick liegt nichts Schwedisches, das geht mir jetzt auf. Es
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