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Den Oridongo hinauf (German Edition)

Den Oridongo hinauf (German Edition)

Titel: Den Oridongo hinauf (German Edition)
Autoren: Ingvar Ambjørnsen
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draußen bei jeder Art Wetter an Land gesetzt wurden, damals, als das Holländerhaus hier auf Vaksøy die Schule war.
    Evelyn van der Klerk kann ihre Begeisterung zügeln. Das kann sie wirklich. Mitten in Trauer und Chaos, die in ihrem Leben herrschen, erlaubt sie es sich, ein wenig sauer zu sein. Wir hätten Bescheid sagen können. Wir hätten Bescheid sagen müssen. Haben denn nicht alle ein Mobiltelefon in der Hosentasche. Reinert von Neset stört das alles nicht, er ist schließlich schon wieder auf dem Weg nach Süden. Mit anderen Worten, die Verantwortung fällt mir zu, und da gehört sie selbstverständlich auch hin. Robert Lakseng, der Hauslehrer, wartet schon seit über einer Stunde auf seinen einzigen Schüler, und jetzt spielt er die Rolle des Neutralen und geht mit Tom in den ersten Stock. Ich begreife, dass es eine Abweichung vom ursprünglichen Plan gibt, nach dem er und die Mutter Tom gemeinsam in zwei Sprachen am Küchentisch unterrichten sollten. Mit anderen Worten, ich habe mir eine Menge Ärger an den Hals geholt, und das passiert ja auch nicht zum ersten Mal. Andererseits: Ich habe nicht vor, ihr recht zu geben.
    »Er war da draußen anders«, sage ich und bringe die zwei Eimer mit den gesäuberten Fischen in die Küche. »Ich wollte nichts sagen, solange er das hören konnte.«
    Sie kommt hinter mir her und fasst mich am Arm.
    »Wie meinst du das?«
    »Dass er anwesender war. Er ist ein Junge. Wir haben einen großen Fisch gefangen. So einfach ist das.«
    »Dann erzähl doch«, bittet sie.
    Das tue ich, während ich das Spülbecken mit Fischen fülle und das kalte Wasser aufdrehe.
    »Dann bitte ich um Entschuldigung«, sagt sie.
    »Natürlich hätten wir dich anrufen müssen. Aber es ging nicht nur um den Fisch. Sondern auch darum, draußen zu sein. Vielleicht müde zu werden. Erschöpft. Er darf nicht da oben auf der Bettkante sitzen bleiben. Oder am Schreibtisch. Geht er von selbst aus dem Haus?«
    »Nein.«
    »Halt ihn nicht zurück, wenn er das tut. Denk nicht an die Sache mit der Katze.«
    Und dann zeige ich ihr, wie man Frikadellen aus Seelachs macht. So, wie ich es von Berit gelernt habe.
    Jetzt kommt eine ruhige Zeit. Ein Tag ist wie der andere, so, wie es vor der Ankunft der Klerke war. Ich stehe früh auf und frühstücke zusammen mit Berit. Pussele ein wenig an Holz und Boot herum, dann fahre ich mit dem Dreirad zum Holländerhaus, wo Evelyn mich in der großen Küche mit heißem Kaffee erwartet. Tom und die kleine Paula sind auch dort. Am Tisch. Sie passt auf ihn auf. Benimmt sich wie eine winzigkleine Tante. Zeigt und erklärt Dinge in der Lokalzeitung und kleinen Bilderbüchern, die sie aus den Niederlanden mitgebracht hat. Das ist rührend.
    Aber er bleibt in seiner eigenen Welt. Er spricht nicht. Wenn ich komme, grüßt er auch nicht, sondern richtet seinen Blick auf einen Punkt links neben meinem Kopf. Ich verstehe, dass er keinen Blickkontakt haben will, und ich versuche, ihn nicht herauszufordern. Man soll einander nicht in die Augen starren, wenn es dazu keine guten Gründe gibt. Das ist nicht nötig. Man kann sich leicht in den Blicken des Gegenübers verirren. Nicht nur bei Hunden ist das so. Das weiß ich aus Erfahrung.
    Evelyn und ich sagen auch nicht sehr viel. Sein Schweigen wird auf irgendeine Weise zu unserem. Es wirkt nicht natürlich, einfach loszuplappern, solange er wie eine Statue ist. Es ist schön, den ersten Erklärungen und bisweilen Ermahnungen seines Schwesterchens zuzuhören.
    Es kommt vor, dass die Mutter kurz hinausgeht und ein paar Tränen zerdrückt.
    Später gehen Tom und ich am Strand entlang, der jeden Tag neu und anders ist, je nachdem, was im Laufe der Nacht angeschwemmt worden ist, oder wir gehen in den Wald unterhalb vom Tryndanut, wo alles in beständigem Gleichgewicht ist. Es kommt vor, dass es ein wenig schneit, aber die Stunden verwischen den Schnee.
    Und ich erzähle von der Reise den Oridongo hinauf, ich weiß nicht warum, und manchmal habe ich das Gefühl, mir alles selbst zu erzählen. Über die stumme Mannschaft und den unsichtbaren Kapitän. Über die vielen Passagiere, die an Bord kommen, und die an Land gehen und dampfende Lichtungen überqueren und am Waldrand verschwinden. Ich erzähle, dass irgendwann jeder von uns das Schiff verlassen und verschwinden wird. Dass eines Tages die Reihe an uns kommt. Dass wir zusammen verschwinden werden, denn der Oridongo hat keine Quelle, wie ich es in aller Schlichtheit Berit eingeredet habe, in
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