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Den du nicht siehst

Den du nicht siehst

Titel: Den du nicht siehst
Autoren: Mari Jungstedt
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Redaktion dauerte nur wenige Minuten. Er beschloss, sich einen kleinen Spaziergang zu gönnen, obwohl er dafür eigentlich keine Zeit hatte. Nur einige Meter weiter sah er den nördlichen Teil der Stadtmauer, die sich hinter den Häusern hinzog. Auf dieser Seite wurde die Mauer von dem alten Pulverturm durchbrochen, der ursprünglich der Verteidigung gedient hatte. Johan genoss den Anblick, bevor er in die Rostockergränd abbog. Er ging an den niedrigen Steinhäusern mit ihren knospenden Kletterrosen und den Holzzäunen vorbei, die die dahinterliegenden Gärten schützten. In vielen Häusern saßen die Fenster gerade mal kniehoch über dem Boden. Die Haustüren waren so niedrig, dass alle, die mehr als einen Meter fünfzig maßen, beim Eintreten den Kopf einziehen mussten.
    Aus dem offenen Fenster einer Bäckerei lärmte ein Radio, und Johan roch den Duft von frisch gebackenen Brötchen. Auf einer abgerundeten Treppe vor einem Haus saß eine schwarze Katze und musterte ihn, als er vorüberging.
    Er zog sein Mobiltelefon aus der Tasche und rief im Präsidium an.
    »Guten Morgen, hier ist Johan Berg von den Regionalnachrichten, Schwedisches Fernsehen. Hat sich im Fall der ermordeten Frau aus Fröjel etwas Neues ergeben?«
    »Ja, gegen den Lebensgefährten der Toten ist ein Haftbefehl erlassen worden – er steht unter Mordverdacht.«
    »Ja, verdammt. Und warum wird er verdächtigt?«
    »Das kann ich nicht sagen, da müssen Sie sich an Anders Knutas wenden, den Leiter der Ermittlungen.«
    »Ist er jetzt zu sprechen?«
    »Nein, er müsste gegen acht Uhr hier sein, aber dann hat er eine Besprechung.«
    »Wo befindet sich der Lebensgefährte?«
    »Derzeit noch im Krankenhaus. Er wird später am Vormittag abgeholt und ins Gefängnis überstellt.«
    »Wer vertritt die Staatsanwaltschaft?«
    »Oberstaatsanwalt Birger Smittenberg.«
    »Wann ist der Haftbefehl erlassen worden?«
    »Heute Morgen um vier. Wir hätten ihn sonst nicht länger festhalten dürfen.«
    »Wissen Sie, ob Anders Knutas heute den Tatort aufsuchen wird?«
    »Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Das müssen Sie ihn selbst fragen.«
    »Na gut, vielen Dank.«
    Johan lief weiter zur Redaktion.
    An der Fassade des Gebäudes war neben dem des Fernsehens auch das Emblem von Radio Gotland zu sehen. Die blau-weißen Markisen über dem Fenster schauten verschlissen in die Morgensonne. Auf dem Parkplatz hinter dem Haus standen einige Wagen, die zum Lokalradio gehörten. Johan registrierte, dass noch immer ein Platz für die Regionalnachrichten reserviert war. Früher hatte der Übertragungswagen von Studio Gotland dort gestanden. Heute war der Parkplatz leer. Johan beschämte der Gedanke, wie wenig sich die Regionalnachrichten derzeit um die Insel kümmerten. Nur selten wurden Nachrichten von dort gebracht, und die hatten meistens mit Tourismus, leckgeschlagenen Öltankern oder Verkehrsfragen zu tun.
    In der Redaktion schrieb er innerhalb einer guten Minute den Text für die Frühnachrichten und schickte ihn nach Stockholm. Dank der neuen Übertragungstechniken konnten die Kollegen dort den Beitrag wenig später ansehen. Daraufhin wurde er telefonisch von einer seiner Lieblingskolleginnen aus dem Stockholmer Studio interviewt, von Madeleine Haga.
    Damit waren die Frühnachrichten versorgt. Es war schon nach sieben, und Johan fand, es sei jetzt spät genug, um Knutas anzurufen. Der Kommissar meldete sich sofort.
    »Ich habe gehört, dass heute Nacht ein Haftbefehl gegen den Lebensgefährten erlassen worden ist«, sagte Johan. »Wieso das?«
    »Dazu kann ich nichts sagen.«
    »Etwas müssen Sie doch sagen können?«
    »Nein.«
    »Werden Sie heute den Fundort aufsuchen?«
    »Ja, am Vormittag.«
    »Und wie lange werden Sie bleiben?«
    »Einige Stunden, möchte ich annehmen.«
    »Kann ich dann dort ein kurzes Interview mit Ihnen machen?«
    »Wenn es unbedingt sein muss.«
    »Schön, dann ist das abgemacht. Bis nachher also.«
     
    Als Knutas sein Mobiltelefon zusammenklappte, nahm er sich vor, auf das Interview vorbereitet zu sein. Diesmal würde er sich von keiner unangenehmen Frage überraschen lassen.
     
    Das Zimmer war fast dunkel, als er in der Nacht aufwachte. Die Rollos waren heruntergelassen. Der Regen prasselte gegen die Fensterscheiben. Sein Körper tat weh, und seine Zunge klebte am Gaumen. Mühsam kam er auf die Beine. Draußen konnte er das Meer hören. Er drehte den Wasserhahn auf, um zu trinken. Das kalte Wasser prallte im Porzellanbecken auf, ehe er das Glas
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