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Dem Gluecklichen Schlaegt Keine Stunde

Dem Gluecklichen Schlaegt Keine Stunde

Titel: Dem Gluecklichen Schlaegt Keine Stunde
Autoren: Anselm Gruen
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dauern solle. Schon die Märchen kennen das Motiv, dass der Tod überlistet wird. Doch wenn es keinen Tod mehr gibt, stockt das Leben. Robert Pütz hat auf die Frage, ob das irdische Leben ewig dauern solle, pointiert, paradox und mit einem Reim geantwortet: „Fände es unendlich statt, hätte man’s in Kürze satt.“ Wenn das Leben ohne Ende ist, wird es langweilig. Gerade die Begrenzung der Zeit lädt uns ein, den Augenblick intensiv wahrzunehmen. Die unendliche Zeit ist die beliebige Zeit. Da ist alles gleichgültig. Es dauert ja ewig. Da können wir immer noch warten. So werden wir nie mit dem Leben wirklich beginnen. Die begrenzte Zeit ist die Zeit des immer neuen Anfangs. Die Zeit, die uns gegönnt ist, möchten wir leben, so gut wie es geht. Wir wollen die Zeit, die Gott uns geschenkt hat, nutzen, damit es eine gesegnete Zeit wird.

Was bleibet aber
Über Zeit und Ewigkeit zu sprechen ist in sich selbst schon ein Paradox. Denn wenn die Ewigkeit erfahren wird, hören die Worte auf. Über die Ewigkeit können wir nicht mehr sprechen. Dennoch geht es den frühen Mönchen darum, das Wort Gottes so zu meditieren, dass uns das Wort die Türe zum wortlosen Geheimnis Gottes aufschließt. So hat es Isaak von Ninive formuliert. Das Wort so zu hören, dass das Unhörbare darin anklingt, das Wort so zu meditieren, dass alle Worte verstummen, dass reines Schweigen den Menschen erfüllt, in der Zeit sich auf das Wort Gottes so einzulassen, dass die Zeit still steht und aufhört, darin besteht für die Mönche das Geheimnis der Kontemplation. Für mich hat das Friedrich Hölderlin, der rätselhafte Dichter, der tief in das Geheimnis Gottes und in das Geheimnis des Menschen geschaut hat, in unübertrefflicher Weise ausgedrückt. Er hat in seinen Gedichtenversucht, das, was sich der Zeit entzieht, im Wort anwesend sein zu lassen. Das Wort führt uns in den Bereich Gottes, der jenseits aller Bilder und Worte und auch jenseits aller Zeit ist. In seinem Gedicht „Mnemosyne“ will der Dichter Anwalt des Göttlichen in dieser Welt, des Ewigen in dieser Zeit sein. Er fasst die Erfahrung des Zeitjenseitigen in der Zeit in den rätselhaften Worten zusammen:
 
„Lang ist
Die Zeit. Es ereignet sich aber
Das Wahre.“
 
Hier beschreibt Hölderlin das Paradox, dass die Zeit einerseits lange dauert, dass sie lange Weile hat, langweilig ist, dass ein Augenblick dem Augenblick folgt. Aber mitten in der Zeit ereignet sich andererseits das Wahre, das, was jenseits der Zeit liegt, was die Zeit übersteigt. Für Hölderlin ist es die Trunkenheit der Liebe, in der die ursprüngliche Einigkeit des Lebensmitten in der Brüchigkeit dieser Welt erahnt und erfahren werden kann. Aber die Erfahrung solcher Einheit ist nur von kurzer Dauer. Die Dichter versuchen, dem Ewigen in ihrem Wort zum Durchbruch in unserer Zeitlichkeit zu verhelfen. „Was bleibet aber, stiften die Dichter“, sagt Hölderlin. Hölderlin schreibt nicht über Zeit und Ewigkeit, er möchte vielmehr in seinen Worten das Zeitlose in dieser Zeit anwesend sein lassen.
 
Indem ich über Gott nachdenke, werde ich in seine Wirklichkeit hineingezogen. Indem ich über die Zeit nachdenke, schmecke ich die Ewigkeit selber, dass in einem Augenblick alles eins ist: Gott und Mensch, Himmel und Erde, Wort und wortloses Geheimnis, Zeit und Ewigkeit.

Ruhender Punkt
Andreas Gryphius schreibt in seiner berühmten Betrachtung über die Zeit:
 
„Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen; / Mein sind die Jahre nicht, die etwa möchten kommen;
Der Augenblick ist mein, und nehm ich den in acht, / So ist der mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.“
 
T. S. Eliot spricht vom „ruhenden Punkt der kreisenden Welt“, den wir im Augenblick berühren, von dem Punkt, „wo sich Zeitloses schneidet mit Zeit“. Für Andreas Gryphius wird der Achtsame, der ganz im Augenblick lebt, eins mit Gott, der Zeit und Ewigkeit geschaffen hat, der jenseits der Zeit ist. Die Erfahrung des Augenblicks wird zur Erfahrung Gottes und transzendiert so die Zeit.

Ganz da und ganz weg
Erfahrungen des Augenblicks, in dem alles eins ist, Zeit und Ewigkeit, nennt Abraham Maslow Gipfelerlebnisse. Und jeder von uns hat wohl schon solche Gipfelerlebnisse gehabt, allein auf einer Frühlingswiese, mit Freunden auf einem Gipfel, mitten unter den Zuhörern in einem Konzertsaal, bei der Geburt eines Kindes, beim Anblick eines geliebten Menschen. Wenn wir überlegen, was da in solchen Gipfelerlebnissen geschieht, so
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