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Delfinarium: Roman (German Edition)

Delfinarium: Roman (German Edition)

Titel: Delfinarium: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Weins
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Exot für sie, weil ich so seriös war. Musiker in einem klassischen Orchester, Rundfunkorchester, damit konnte sie gut angeben, eine Weile, vor ihren Freunden.«
    Petra lächelt, stelle ich mir vor, ich kann es zwischen meinen fast geschlossenen Lidern hindurch nicht erkennen.
    »Als er klein war, habe ich ihm immer erzählt, seine Mama sei nur verreist, sie würde eine große Reise machen. ›Wann kommt sie denn wieder?‹, hat er immer gefragt. Ich glaube, dass sie einfach nichts mehr mit dem Leben anzufangen wusste, als sie das klamme Gefühl bekam, das Pulver der Jugend verschossen zu haben. Ehe, Familie, Beruf, später Rente, die ganzen mittleren Jahre sagten ihr gar nichts.«
    »Das ist ja auch schwierig, scheint mir«, sagt Petra.
    »Gewiss«, sagt Papa. »Was macht man mit einem Gewehr, wenn man glaubt, über kein Pulver mehr zu verfügen? Der Unterschied zwischen seiner Mutter und ihm ist, dass er noch nicht einmal etwas mit seiner Jugend anzufangen weiß. Sie hat wenigstens noch Sex gehabt und Drogen genommen.«
    Mein Vater schnaubt vor sich hin und Petra guckt ihn mit fragendem Blick an.
    »Was machst du jetzt eigentlich?«, fragt er.
    »Ich studiere in Lund. Ich will Anwältin werden. Hat Daniel das nicht erzählt?«
    »Doch, bestimmt, kann schon sein. Das ist gut, Anwältin.«
    »Ja«, sagt Petra.
    »Ich wünschte, er würde auch etwas machen, irgendeinen Schritt.«
    »Das kommt noch«, sagt sie, »er ist ein Spätstarter. Der geht schon seinen Weg.«
    »Meinst du?«, fragt er.
    »Klar«, sagt sie. »Ich glaube an ihn.«
     
    Als wir nach Hause kommen, ist das ganze Dorf in Aufruhr. Die Bewohner sind auf den Straßen, Übertragungswagen stehen überall geparkt. Ich fühle mich geschmeichelt, aber so groß ist die Sache nun auch wieder nicht.
    »Was ist denn hier los?«, frage ich, setze mich auf, wuschel mir die Haare zurecht.
    »Der Bürgermeister ist zu Besuch«, sagt Petra.
    »Aha?«, frage ich. »Wieso das denn?«
    »Er lässt sich jetzt herab, mit den Betroffenen zu reden, der große Gönner. Klar, er will die Besitzer überreden, die Grundstücke zu verkaufen, er will Stimmung machen, will sie um den Finger wickeln.«
    »Ah«, sage ich und stelle mich wieder auf Wirklichkeit ein. »Und das lässt du dir entgehen?« Ich suche Petras Blick im Rückspiegel.
    »Was soll man machen«, sagt sie, »manchmal muss man Prioritäten setzen.«
    Ich möchte gerne etwas Kluges und Witziges entgegnen, aber ich merke, dass ich nichts sagen kann, es durchpulst meinen Körper warm und mein Gesicht wird rot, röter, als es ohnehin schon ist.

19. Die Arp-Schnitger-Orgel
    Danach lassen sie mich tagelang in Ruhe. Ich sitze in meinem Zimmer, höre Musik, schaue aus dem Fenster. Sie behandeln mich wie einen Rekonvaleszenten, Petra und mein Vater, es fehlt nur noch, dass ich einen Pfleger zugesprochen bekomme, der mit mir Ausflüge in den Zoo unternimmt. Am zweiten Tag begleitet mich mein Vater zur Polizei, wo ich mit dem Inspektor sprechen muss. Ich sitze neben meinem Vater in einem nach Behörde riechenden Büro vor einem Schreibtisch und erzähle die Geschichte so, wie sie sich meiner Meinung nach zugetragen hat. Mein Vater sitzt dabei und hört sich alles an, aber er lässt sich nichts anmerken. Der Polizist sagt, dass es eine Anzeige geben wird, Henry sei außer sich vor Wut, verletztes Vertrauen, Vernachlässigung der Aufsichtspflicht, Menschenraub und so weiter. Das werde sicher nicht so heiß gegessen wie gekocht. Aber es liege in der Tat ein eklatantes und ungesetzliches Fehlverhalten vor. Noch immer wisse man nicht, wo sich Max und Susann aufhalten, es gäbe keine Spur, Max gilt jetzt als Entführer, sein Wagen steht auf der Fahndungsliste. Ich betone noch einmal, dass Susann freiwillig eingestiegen ist und dass ich nach wie vor nicht sicher bin, ob Marie und Susann nicht doch ein und dieselbe Person seien. Der Inspektor und mein Vater tauschen einen Blick, aber sie sagen mir nichts, aus dem ich schlauer werden könnte, als ich ohnehin schon bin. »Die Frau von Herrn Windgassen wird von uns derzeit nicht als eine mündige Person angesehen«, sagt der Inspektor. Und mein Vater sagt: »Mach dir keine Gedanken, Daniel, das kommt schon wieder in Ordnung«, was mir absolut unpassend erscheint. Ich sage nichts, ich habe alles gesagt, ich zucke die Schultern und alles, was ich noch sagen könnte, ist: Ich bin müde müde müde, als hätte mir jemand wolkigen Halbschlaf ins Getränk geschüttet. Dann gibt es eben eine
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