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Delfinarium: Roman (German Edition)

Delfinarium: Roman (German Edition)

Titel: Delfinarium: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Weins
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und nicht er und seine Frau und ich. Sein Blick wandert zu den Blumen, die zwischen uns in der Abendluft zittern. Ich schaue ebenfalls die Blumen an, als könnten sie die Situation lösen, irgendwie. Die Blumen des Bösen. Schweigend stehen wir da. Alle Worte sind aus meinem Kopf geblasen. In meinem Kopf nichts, Ostereierschalenleere.
    Er schlägt die Haustür vor mir zu.
    Ich warte, denn ich kann unmöglich gehen jetzt, aufgeben, ich will mit ihm reden. Ich sage gegen das Türblatt, dass ich eine Postkarte bekommen habe von Susann.
    Die Tür geht wieder auf.
    Er schaut mich wortlos an.
    »Ich habe eine Postkarte bekommen«, sage ich. Ich ziehe die Karte aus meiner hinteren Hosentasche und halte sie Henry hin. Er betrachtet das Bild der Kuckucksuhr, dann liest er sich den Text durch. Ich warte darauf, dass er mir die Postkarte zurückgibt, aber er macht keine Anstalten.
    »Entschuldigung«, sage ich und muss schlucken. Henry starrt auf die Postkarte zwischen seinen Fingern hinab.
    »Es tut mir wirklich sehr leid«, sage ich. »Ich möchte es dir gerne erklären, ich möchte so gerne mit dir darüber reden.«
    »Mein Herz ist zu groß«, sagt er.
     
    »Ich vertraue den Menschen zu sehr«, sagt er, als wir im Wohnzimmer sitzen. Die Postkarte liegt mit dem Bild nach oben zwischen uns auf dem Couchtisch. »Das ist schon immer so gewesen. Deshalb ist es so leicht, mich auszunutzen.«
    »Ich habe dich nicht ausgenutzt«, sage ich. »Das habe ich nie gewollt.«
    »Du hast mich angelogen«, sagt er. »Du hast mich hintergangen. Du hast meine Frau entführt.« Er nimmt einen Schluck aus seiner Bierdose. Er trinkt ein Bier, mir hat er keins angeboten. »Du hast mir einen falschen Namen gesagt, du heißt gar nicht Martin.«
    »Es war ein Missverständnis«, sage ich.
    »Von wegen«, sagt er und schnaubt.
    »Du hast mich aber auch angelogen«, sage ich. »Du hast mir zumindest nicht alles erzählt.«
    Henry guckt mich mit großen Augen an, die Bierdose vor seinem geöffneten Mund.
    »Du hast mir nichts von Max Braun gesagt und dass die Polizei hier gewesen ist. Das hast du mir einfach verschwiegen, dabei ist es doch ein total bedeutsames Detail.«
    »Das ging dich auch nichts an«, sagt er. »Du bist mit meiner Frau durchgebrannt. Du hast sie entführt. Und jetzt ist sie weg. Versuch ja nicht, den Spieß umzudrehen.«
    Er schnaubt und schiebt sich die Brille mit dem Daumen auf die Nase.
    »Ich werde dir das nicht verzeihen!«
    »Ist okay«, sage ich, »das habe ich auch nicht erwartet, das habe ich verdient.«
    Wir sitzen da und schweigen.
    Ich frage mich, ob er wirklich nicht weiß oder ahnt, dass ich auch noch mit ihr geschlafen habe, ob man es mir ansieht irgendwie, ob mich irgendetwas verrät.
    »Du hast ein ordentliches Veilchen da«, sagt er und deutet in Richtung meines blauen Auges.
    »Stimmt«, sage ich.
    Er trinkt seine Dose leer.
    »Du trinkst zu viel Bier«, sage ich, obwohl ich so etwas nicht sagen sollte, ich weiß nicht, was mich reitet.
    »Das geht dich nichts an«, sagt er.
    »Trotzdem«, sage ich.
    Er seufzt und schaut seine Bierdose in der Hand an, liest sich den Schriftzug durch, ein liebevoller Blick.
    Ich schweige und schaue ihn mir an.
    »Hast du schon immer so viel getrunken?«
    »Nein, ich habe es mir angewöhnt. Ich habe mir das Biertrinken angewöhnt, eine schlechte Angewohnheit, sonst nichts. Aber es ist so hartnäckig, es ist so schwer, das wieder loszuwerden.«
    Anscheinend liest er sich alles durch, was auf der Dose steht, Reinheitsgebot usw.
    »Manchmal geht es schon bei der Arbeit los«, sagt er. »Manchmal trinken wir schon in der Frühstückspause. Aber meistens kaufe ich mir erst nachher am Kiosk zwei Dosen. Ich stehe den ganzen Tag in dieser Hitze, in dieser dämlichen, neonerleuchteten Großküche, es ist laut wegen der Maschinen, künstliches Licht, und ich hole irgendwelche vorgefertigte Nahrung aus den Plastikfolien, den ganzen Tag. Ich bediene diese Maschine, die die Sachen schonend auftaut, es ist stupide, du kannst es dir nicht vorstellen. Im Geist bereite ich die ganze Zeit die kompliziertesten Gerichte zu, immer neue Kreationen. Und wenn ich von der Arbeit komme, kaufe ich mir erst mal zwei Dosen Tuborg, der durstige Mann, um alles hinunterzuspülen. Sonst trinke ich immer das hier, Astra, aber wenn ich von der Arbeit komme: zwei Tuborg. Ich sitze an der Bushaltestelle und trinke mein Bier. Ich lasse die Busse vorbeifahren, die Abendsonne scheint mir ins Gesicht, oder es regnet,
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