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Delfinarium: Roman (German Edition)

Delfinarium: Roman (German Edition)

Titel: Delfinarium: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Weins
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dem dunkelblauen Ford auf dem Hof. Ein Polizist, ein Kommissar, kommt herüber und will etwas von mir, aber mein Vater und Petra reden lange auf ihn ein. Schließlich sagt der Polizist, dass er mich noch ausführlich sprechen werde in der Stadt, jetzt könne mein Vater mich mitnehmen, ich solle zur Ruhe kommen. Wir würden alles Weitere später ausführlich besprechen. Ein Streifenpolizist steht abseits, eine Taschenlampe in der Hand, und sieht zu, wie Petra mit einem Taschentuch in meinem Gesicht herumtupft. Ich frage mich, was er mit der Taschenlampe will. Er schaut mich unverwandt an, schamlos, finde ich, aber ich kann mich wohl kaum beschweren. Dann tritt Henry zwanzig Meter weiter aus der Haustür, er ruft etwas und klingt dabei entfernt wie ein röhrendes Tier, er will zu mir herüber, aber er wird von einem Polizisten festgehalten und wieder ins Haus gedrängt. Ich blicke auf meine Schuhe, die im Dreck des Hofes stehen, ganz still und für sich, wie zwei kleine märchenhafte Boote für Füße. Das macht mich schmerzhaft lächeln.
    Etwas später sitze ich im Wagen von Petras Vater. Petra sitzt am Steuer, mein Vater auf dem Beifahrersitz. Sie behandeln mich wie einen Patienten, denke ich, als hätte ich sie nicht mehr alle, als könne man mich nicht mehr ernst nehmen.
     
    Ich sitze im Auto auf der Rückbank wie ein kleiner Junge und werde nach Hause gefahren. Ich blicke auf meine Hände, die in meinem Schoß liegen.
    Mein Vater dreht sich zu mir um. »Wie fühlst du dich?«, fragt er.
    »Müde«, sage ich.
    Er schaut mich an, darauf fällt ihm keine Erwiderung ein. Wir sitzen da und schauen uns in die Augen und irgendwann halte ich es nicht mehr aus und schaue wieder meinen Händen zu. Ich spüre, dass mein Auge zuschwillt. Petra nimmt einen anderen Weg als den, den ich auf der Hinfahrt gekommen bin. Sie fährt auf die Autobahn. Wir fahren an einem Fabrikgebäude vorbei, auf dem Dr. Oetker steht, das erkenne ich durch meinen Sehschlitz.
    Ich lasse mich zurück in die Polster gleiten. Es ist still im Wagen. Irgendwann wechseln Petra und Papa Worte, aber ich habe meine Ohren auf unscharf gestellt. Es ist wie früher in der Kindheit, ein Gefühl von Geborgenheit überkommt mich. Vorne reden die Erwachsenen, Mama und Papa, und hinten sitzt das Kind und muss sich um nichts kümmern, dafür sind die Erwachsenen da.
    Ich frage mich, wie ich dastehe in der Sache, bislang, wenn man sie wie eine Geschichte betrachtet, wenn man nach der Moral sucht, wenn man sich fragt, wer der Gute und wer der Böse ist. Eigentlich hatte ich immer gedacht, dass ich der Gute bin, mein Leben lang, der Prinz, der Held in meiner Geschichte. Und Susann eine Art vom Drachen geraubte Prinzessin, der ich helfen muss. Ich war auf jeden Fall der Gute in meiner Vorstellung. Aber jetzt wird mir klar, dass ich der Böse bin, nicht Henry oder Max, ich bin der Bösewicht, ein total harmloser und vertrottelter dazu. Ein Schurke aus Doofheit. Der Einzige, der sich andauernd etwas zuschulden kommen lässt, bin ich. Ich habe von Anfang an geschwindelt und betrogen, ohne es dabei böse zu meinen. Ich habe Henry nicht meinen richtigen Namen gesagt. Ich habe mit seiner Frau geschlafen, sie entführt usw. Ich habe mich trotzdem für eine Art Parzival gehalten, ein naiver Held, der sich durch die Welt kämpft, im Herzen rein und gut. Mir ist nicht aufgefallen, dass die anderen vielleicht reineren Herzens sein könnten. Ich bin der Bösewicht.
    Irgendwie verdutzt mich das. Und ich finde es gar nicht mal so schlecht. Das hätte ich mir überhaupt nicht zugetraut.
    Lächelnd schlafe ich ein, und als ich aufwache, kann ich mein linkes Auge nicht öffnen. Wir sind immer noch auf der Autobahn. Ich lasse die Augen geschlossen, gebe mich dem Brummen des Motors hin. Lasse meinen Kopf hin und her schaukeln.
    Mein Vater sagt: »Ich war bereits 38, als er zur Welt kam. Seine Mutter war ganz anders als ich. Manchmal war ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt der Vater bin, sie hatte immer mehrere Männer. Er kommt auf jeden Fall viel mehr nach ihr als nach mir. Manchmal sehe ich ihn an und kann es nicht fassen, wie sehr ich sie durch ihn sehe, dann muss ich mir richtig an die Brust fassen.«
    »Hm«, macht Petra.
    »Als er zur Welt kam, dachte ich, dass sie jetzt ihre wilde Zeit hinter sich habe. Ich hatte gedacht, ich könne sie irgendwie zähmen. Aber sie hatte immer das Gefühl, ich wolle ihr die Freiheit nehmen und sie müsse ausbrechen. Anfangs war ich wohl eine Art
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