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Delfinarium: Roman (German Edition)

Delfinarium: Roman (German Edition)

Titel: Delfinarium: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Weins
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sind. Dann fällt mir auf, dass der Hund neben mir steht, der schwarze Hund. Er setzt sich neben mich und schaut zu mir auf. »Was soll ich tun?«, frage ich ihn.
    Der Hund trottet vor mir her. Am Rand der Kopfsteinpflasterstraße bleibt er stehen und schaut mir aufmerksam ins Gesicht. Er will mir etwas sagen mit seinem Blick.
    Von hier aus kann man die Toreinfahrt sehen. Das Tor steht offen, aber es lädt mich nicht ein. Zu viele Wagen stehen auf dem Hof. Ein Polizeiwagen ist dabei, daneben ein dunkelblauer Ford. Ich kann den Mercedes von Petras Vater erkennen, ein silberner Mercedes Kombi.
    Ich kann Gestalten auf dem Hof erkennen, zwei Männer, die ich nicht kenne, die zum Ford gehen und etwas aus dem Wagen nehmen.
    Ich könnte auch zu Henrys Auto rennen und Max und Marie hinterherfahren, aber wozu?
    Ich könnte auch nach Hause fahren und mir die Decke über das Gesicht ziehen, aber die Lawine werde ich nicht aufhalten.
    Ich könnte irgendwohin fahren und irgendwo neu anfangen, aber wie das, wenn das Alte unvollendet zurückgelassen wird?
    Ich kann den Wagen auch auf den Hof lenken, das Gaspedal durchtreten und mit vollem Karacho in die ganzen bescheuerten Autos hineinrasen, auf den letzten Metern noch massig materiellen Schaden verursachen. Die Variante finde ich gar nicht so schlecht.
    Ich kann mich auch irgendwo verstecken, verkriechen, im Wald in einer Hütte aus Stöcken und Laub, ich könnte mich von Beeren ernähren und Würmern und Insekten und Fleisch aus den Fallen, die ich aus Wurzelholz konstruiere, und irgendwann in Jahren findet mich ein Dorfbewohner und ich werde berühmt in der Lokalzeitung als der Waldmensch von ichweißnichtwo, mein Foto mit langen, verkletteten Haaren und Bart, ausgemergelt, nur einen gelblichen Lendenschurz tragend, auf einen Speer aus Kiefernholz gestützt.
    Vielleicht ist es das Beste, mir einfach eins in die Fresse abzuholen. Schutzlos. Konsequent. Vielleicht kann ich dann an anderer Stelle weitermachen. Mit mir.
     
    »Ciao, Hundi«, sage ich. »Ich gehe zum Hof von Max Braun.«
     
    Und dann ist es, als stünde ich in einem Tunnel, wir stehen in der Küche, ich bin einfach an diversen Exemplaren der Spezies Mensch vorbeigegangen, manche griffen nach mir, andere nicht, jetzt bin ich in der Küche, in diesem Tunnel, alleine mit Henry, er am einen, ich am anderen Ende, wir gucken uns an und es ist sehr still, wie im tiefen Dunkel eines Teilchenbeschleunigers, bevor der Strom angeht, der Schub einsetzt, und dann bewegen wir uns endlich aufeinander zu, wir beschleunigen, erst langsam, dann rasant schnell. Die anderen sind ausgeblendet, Henry wird größer, sein Gesicht schillert, seine Augen lodern, er hat große, schwarze Augen, er ist der Wolf, der mich fressen wird, ich schaue weit und atemlos in dieses Gesicht, das eine Landschaft wird, und da ist nichts als Hass und Angst und Wut und Trauer. Und dann ist er bei mir und zimmert mir mit seiner rechten Faust ein zusätzliches Zimmer neben meinen Kiefer, eine Kammer, ein Nest des Schmerzes, dort darf der Schmerz für immer wohnen, mein Kopf fliegt zur Seite, ich sehe den Küchenschrank davonschweben, Halt! will ich rufen, aber schon fliege ich hinter ihm her durch den Weltraum, fliege durch die Küche und knalle mit dem Kopf gegen den Blecheimer, in dem Max Braun die Essensreste zu sammeln pflegt. Schon ist Henry auf mir und wieder habe ich seine Hände im Gesicht, links und rechts, und habe Angst, dass meine Nase bricht, drehe den Kopf weg und seine Faust knallt auf einen Ort oberhalb des Kiefers und es knirscht, es schmerzt, und trotzdem, ja, ich begrüße diesen Vorgang, ich unterstütze seinen Standpunkt, ja, es scheint mir nur recht und billig, und es hat eine gewisse schnörkellose Berechtigung, es besitzt eine immanente Schönheit, und ja, Sie könnten vielleicht noch einmal hier, da habe ich es wirklich bitter nötig, bitte ja, nur keine Hemmungen. Ich würde lächeln, wäre mein Gesicht nicht zu zerrissen. Aber dann zerrt man ihn fort von mir, diesen schweren Körper, den fuchtelnden, lauten.
     
    Na ja, es tut sehr weh. Ich liege da und will nicht zu mir finden. Das war im Grunde das Wahrhaftigste, was ich in den letzten Tagen zustandegebracht habe.
     
    Später stehe ich auf dem Hof und alle sprechen auf mich ein. Petra und mein Vater. Papa nimmt mich in den Arm, steckt seine Nase in mein Haar. Das fühlt sich gut an, obwohl ich körperliche Schmerzen empfinde. Jedes Ruckeln meines Kiefers schmerzt. Ich stehe neben
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