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Deine Spuren im Sand

Deine Spuren im Sand

Titel: Deine Spuren im Sand
Autoren: Gisa Pauly
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telefonieren, mal mit Alex, mal mit Berno und auch mit ihrem Vater. Sie hatte alles im Griff. Es gab niemanden, dem ich mehr vertraute als Maiks Tochter.
    Mit meinem Brautkleid war sie nicht einverstanden, daran ließ sie keine Zweifel, aber ich war ihr dankbar, dass sie ihn nicht äußerte. Erstaunlich, wie konservativ so junge Mädchen sein konnten! Für Julia hatte ein Brautkleid weiß zu sein und nicht regenwolkengrau mit pinkfarbenen Schattierungen. Auch einen Schleier fand sie für eine Braut unerlässlich, sah aber ein, dass es auf meinem Kopf nirgendwo eine Stelle gab, an der er befestigt werden konnte, und die Lieblichkeit, die eine Braut mit Schleier ausmachte, bei mir sowieso nicht zu erreichen war. Auf das rosa Plüscharmband hätte ich Julia zuliebe beinahe verzichtet, aber da ich schon ihrem Rat gefolgt war, die grünen Rosetten, die eigentlich meine Brautschuhe zieren sollten, in die Schublade zurückzulegen, fand ich, dass ich es mit meiner Sympathie für sie auch nicht übertreiben sollte.
    Als die Maskenbildnerin ihr Werk vollbracht hatte, war ich sehr zufrieden mit meinem Erscheinungsbild. Julia und die Maskenbildnerin waren es nicht, aber an solche Reaktionen war ich gewöhnt. Noch immer war ich froh, dass die Zeit vorbei war, in der ich in einer verwaschenen Kapuzenjacke zum riesigen Heer der verwaschenen Frauen gehört hatte.
    Wir hatten eine Ferienwohnung in Westerland gemietet, da sämtliche guten Hotels von der Presse vereinnahmt worden waren. Die Mutter von Julias Freund Roby arbeitete bei einem privaten Pflegedienst, und dort war man so freundlich gewesen, uns einen Wagen zu überlassen, der normalerweise zum Transport von Rollstuhlfahrern benutzt wurde. Er fuhr unauffällig am Hintereingang des großen Apartmenthauses vor und wurde von niemandem beachtet.
    Julia stand neben ihm und sah sich gründlich um, ehe sie zischte: »Jetzt!«
    Im Nu saß ich in dem Rollstuhl, für den Robys Mutter gesorgt hatte, damit ich es bequem hatte auf dem Weg nach Keitum zur St.-Severin-Kirche. Ich musste lächeln, als ich an meinen letzten Besuch am Grab meiner Eltern dachte. Diesmal war es umgekehrt gewesen. Ich goss die Blumen, als er, mit einer Gießkanne in der Hand, auf mich zukam. Lachend stellte er sie zur Seite, als er mich sah, dann wurde sein Gesicht ernst, und als er nach meiner Hand griff, sah ich sogar Tränen in seinen Augen schimmern.
    »Ich habe deine Mutter sehr geliebt«, sagte er, »und ich hätte diese Liebe gern gelebt. Aber sie hat es nicht über sich gebracht, deinen Vater zu verlassen. Nicht einmal, als er erfahren hatte, dass er zeugungsunfähig war, und einsehen musste, dass er nicht dein Vater sein konnte. Er wollte es nicht wahrhaben und hat jedem mit Klage gedroht, der dich ein Kuckuckskind nannte.«
    »Hat er gewusst, dass du mein Vater bist?« Diese Frage hatte ich ihm noch nicht gestellt, obwohl wir in Maiks Wohnung lange über die Vergangenheit gesprochen hatten.
    Er nickte. »Er hat von mir verlangt, dass ich schweige, und ich habe mich daran gehalten, weil auch deine Mutter es so wollte.« Er seufzte tief auf, und ich hatte plötzlich das Gefühl, dass er sich unter der Last der Erinnerung krümmte. Aber als ich nach seinem Arm griff, richtete er sich wieder auf.
    »Ich war stolz auf dich und deine Karriere«, sagte er. »So stolz! Auch als ich dich in der Talkshow sah. Es war großartig, wie du diesem widerlichen Musikproduzenten die Zähne gezeigt hast.«
    »Und du hast damit gerechnet, dass ich nach Sylt fliehe?«
    »Ja, ich war ganz sicher.« Er wandte mir sein Gesicht zu, und ich lächelte in seine grauen Augen, die genauso grün gesprenkelt waren wie meine. »Ich wusste nicht, wie ich herausfinden sollte, wo du untergeschlüpft warst, aber dann kam mir ja der Zufall zur Hilfe. Auf dem Friedhof habe ich dich sofort erkannt. Trotz deiner Maskerade. Ich wollte unbedingt herausfinden, wo du wohnst, damit ich auf dich aufpassen konnte. Und dann merkte ich, dass Alex von einer bestimmten Frau schwärmte …«
    Ich spürte, dass ich unter den Erinnerungen lächelte. So, wie auch mein Vater gelächelt hatte, als er mir von Alex’ Verblüffung erzählte. Er zog den rechten Mundwinkel höher als den linken und zwinkerte, während er lachte. Genauso machte ich es auch. Welche Sehnsucht mochte meine Mutter befallen haben, wenn sie mich lächeln sah? Und unter welchem Zorn hatte mein Vater wohl gelitten, wenn ich ihn anlachte?
    Während der Wagen auf die St.-Severin-Kirche
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