Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir /
Autoren: Susanna Ernst
Vom Netzwerk:
Steg, bis zu seinem Ende.
    Vor ihnen liegt, wie ein beschlagener Spiegel, der zugefrorene See. Tief atmet sie die Luft ein und wünscht sich nichts sehnlicher, als diesen Moment mit ihm teilen zu können. Doch Matt ist nicht mehr da.
    Nur wenige Tage zuvor, mit einer strampelnden Julie in ihrem prallen Bauch, war es noch einfacher gewesen, die Zimmertür hinter sich zuzuziehen, um in Ruhe zusammenzubrechen, wann immer Verzweiflung und Trauer es gefordert hatten.
    Doch nun, mit ihrer kleinen Tochter im Arm, ist es Amy schier unmöglich, sich der Verantwortung zu entziehen.
    Der glucksende Atem, der schnelle Herzschlag und der Duft ihres Babys – Julie riecht nach Mandelmilch und Lavendel – erinnern Amy in jeder Sekunde an ihr Versprechen.
    »Ich werde leben!«, flüstert sie mit geschlossenen Augen und drückt Julie dabei an sich.
    Nach einigen Sekunden fasst sich Amy wieder und wendet sich erneut dem Haus zu. Schöner hätte es wirklich nicht werden können. Als sie auf Tom zugeht, deutet er auf ein rotes Boot, das neben der Treppe im Schnee liegt und dort auf den Frühling zu warten scheint – darauf, endlich am Steg befestigt zu werden und auf dem Wasser schaukeln zu dürfen.
    AMY, steht in weißen Buchstaben auf dem roten Holz.
    Auch ohne Toms Erklärung weiß sie sofort, dass Matt dieses Boot selbst angestrichen hat. Vorsichtig kniet sich Amy nieder und fährt mit den Fingerspitzen über die Schrift. Ja, sie würde ihren Traum leben; er hatte ihn perfekt vorbereitet.
    Julies Zimmer ist unglaublich süß eingerichtet. Nichts fehlt. Von den Gardinen über die Möbel bis hin zu den Kuscheltieren im Regal ist alles aufeinander abgestimmt.
    Viel hat Amy selbst ausgesucht, manches stammt aus ihren alten Kinderzimmern und ein Teddybär sogar noch von Matty. Andere Sachen wiederum kennt sie nicht.
    »Wir haben noch einiges dazugekauft«, gesteht Tom kleinlaut. »Ich hoffe, du bist nicht böse. Besonders Kristin ist es extrem schwergefallen, die Finger von all den süßen rosa Babysachen zu lassen. Dennoch – sie hat sich beherrscht, dir zuliebe.«
    Im Obergeschoss des Hauses wartet eine weitere Überraschung auf Amy. Von hier aus hat man einen überwältigenden Ausblick über den gesamten See, bis hin zu den Bäumen auf der gegenüberliegenden Seite, hinter denen die gigantischen Berge hervorragen.
    »Matt war der Meinung, es gäbe keinen besseren Raum als diesen hier, um daraus dein Atelier zu machen«, erklärt Tom. Seine Stimme bebt leicht. Amy weiß genau, wie sehr auch er ihn vermisst.
    Mitten im Raum steht eine Staffelei, und einige ihrer Bilder lehnen an den Wänden. Nur ein einziges Bild hängt – das große Portrait von Matt. Der ehemals rote Strich an seiner Schläfe ist verblasst. Amys hatte ihn Wochen zuvor überpinselt. Die Finger auf dem Gemälde – ihre Finger – streichen nun über geheilte Haut.
    Tom hat wirklich alles nach Mattys Erzählungen und Ideen gebaut und eingerichtet. Amy fühlt sich sofort heimisch, obwohl sie das Haus bisher nur einmal, im halbfertigen Zustand, gesehen hat. Damals hatte sie den Schmerz in ihrer Brust noch nicht ertragen können und die Besichtigung abgebrochen, bevor sie richtig begonnen hatte.
    Doch nun ist es an der Zeit. Alles zu seiner Zeit! Wie oft hatte Matt das gesagt.
    Dieses Haus steckt so voll von ihm, dass er in jedem Winkel, in jedem Balken, auf jeder Stufe zu spüren ist.
    »Ja! Es ist … perfekt!« Amy nickt und umarmt Tom mit der kleinen Julie im Arm.
    Später am Abend legt sie sich mit ihrer Tochter auf die Couch vor den Kamin. Das Licht des Mondes reflektiert auf dem zugefrorenen See. Lange betrachtet Amy den funkelnden Nordstern und all die anderen Sterne, deren Anordnungen dank Matt nun eine Bedeutung für sie haben.
    Schließlich bettet sie ihre Kleine in die weichen Couchkissen und setzt sich an ihr Klavier.
    Zum ersten Mal seit vielen Monaten.
    Dennoch finden ihre Hände sofort zu den richtigen Tasten. Amy muss nicht einmal hinsehen.
    Mit schlafwandlerischer Sicherheit spielt sie ihrer Tochter Matts kleine Lieblingsmelodie vor. Bald schon gähnt die Kleine herzhaft und ist bereits eingeschlafen, noch bevor der letzte Akkord unter der hohen Giebeldecke verhallt.
    Amy verharrt, die Finger noch auf den Tasten und den Fuß auf dem Pedal, um ihre Tochter zu betrachten.
    Die ebenen Gesichtszüge, die Form ihrer Augen, das gerade, schmale Näschen – Julie sieht aus wie Matt, besonders, wenn sie schläft. Ihr Anblick bietet Amy einen tiefen Trost. In
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher