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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir /
Autoren: Susanna Ernst
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nicht etwas versprichst.« Sie zögert. Neue Tränen tropfen auf meine Wangen herab, bevor sie ihre Augen schließt. »Versprich mir loszulassen«, haucht sie.
    Ihre Stimme ist nun so sanft, dass der Wind sie kaum noch zu mir trägt. Dennoch verliert sie nicht einen Hauch ihrer beharrlichen Intensität. Amy ist sich der Tragweite ihrer Forderung bewusst, so viel steht fest.
    Die folgenden Sätze spricht sie sehr schnell. Wir wissen beide, dass sie gut daran tut.
    »Alles, was jetzt kommt, Matty – das Licht, die Wärme, die Bilder – lass es einfach geschehen und …
genieße
es! Versprich mir, dass du loslässt! Versprich es mir! Deine Seele bleibt, aber deine Erinnerungen müssen gelöscht werden, Matt. Lass los, Engel! Bitte, versprich mir das!«
    Zärtlich und flehend küsst sie mich, doch ich schüttele den Kopf. So energisch, wie ich es noch schaffe. Eine Existenz ohne sie ist schier undenkbar, das muss ihr doch klar sein.
    »Amy, ohne die Erinnerungen an dich will ich nicht sein. Was wäre das auch für ein Leben? Es wäre nicht
einen
Atemzug wert!
Du
bist mein Leben!«
    Das Sprechen fällt mir immer schwerer. Meine Stimme klingt mir selbst schon fremd.
    Doch ich habe keine Schmerzen mehr. Mir ist nur kalt, schrecklich kalt. Amy beugt sich über mich, dicht an mein Ohr. Ihre Hände reiben über meine Oberarme, wärmen mich.
    »Du fragst, was es für ein Leben wäre, Matty? Es wäre ein unbelastetes Leben. Ein echter Neuanfang. Ein Leben, das ich mir für dich wünsche.«
    Ihre Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern, doch ihr Ton bleibt unnachgiebig und trotz ihrer Tränen fast schon streng. Ich höre das unterdrückte Schluchzen in ihrer Kehle, sosehr sie es auch zu verbergen versucht.
    »Lass los, Matty! Du wirst eine Familie haben, neue Eltern, eine unbeschwerte Kindheit. All das, was du so sehr vermisst hast. Bitte, versprich es mir …«
    Der tiefe Blick in meine Augen verrät ihr alles: meine Zweifel, meine Unfähigkeit, ihr diese letzte Bitte abzuschlagen und die
eine
große Bitte, die ich nun noch habe.
    Es ist mein letzter Wunsch und meine letzte Sorge zugleich.
    Toms Worte klingen in meinem Kopf wider: »Sie sagte, sie könne sich ein Leben ohne dich nicht vorstellen.«
    Meine Kraft reicht nicht mehr aus, um meine Bitte zu formulieren, doch Gott sei Dank waren Amy und ich noch nie auf Worte angewiesen.
    »Ja!«, wispert sie. »Ja, ich werde leben!«
    Und mit diesen Worten hebt sie einen zentnerschweren Stein von meinem Herzen. Plötzlich fühle ich mich leichter und auf eine ungeahnte Weise erlöst. Amy nickt immer weiter, als spüre sie die Veränderung, die in mir vorgeht. »Ich verspreche dir im Gegenzug, dass ich leben werde, mein Engel. Mit unserer kleinen …«
    Sie beugt sich noch näher zu mir herab und flüstert mir einen Namen ins Ohr. Es ist der, den unsere Tochter tragen wird.
    Ja!, denke ich. Ja!
    Ein Lächeln entfaltet sich auf meinem Gesicht, und ich bin mir ziemlich sicher, dass es nur als selig zu beschreiben ist. Es dauert noch einige Sekunden, doch dann nicke ich.
    »Ich lasse los, ich verspreche es.«
    Noch einmal küssen wir uns, noch einmal spüre ich Amys zarte, weiche Lippen auf meinen, ihren süßen Atem in meinem Mund. Noch nie haben Honig und Lavendel lieblicher gerochen, noch nie unbelasteter.
    Mit letzter Kraft schaffe ich es, meinen Finger zu heben, bevor meine Hand schlaff zurück auf meinen Brustkorb fällt.
    »Sieh mal … Blumenwiese«, hauche ich. Es sind meine letzten Worte. Gerade noch sehe ich, wie sich Amy umschaut – und versteht.
    Diese riesige Wiese, auf der wir liegen – es ist die Wiese, auf der wir uns in unseren Visionen immer wieder trafen. Es ist Amys Wiese –
unsere
Wiese – unverkennbar.
    Rund um uns herum blühen wilde Blumen aller Farben, und es duftet angenehm süßlich. Noch höre ich das Summen der Bienen, und ich fühle Amys Herzschlag an meiner Brust, als sie sich erneut zu mir herabbeugt. Ihr Herz schlägt stark, ihre Haut ist warm. Viel wärmer als meine eigene. So, wie es sein soll.
    Amy lebt!
    Zufriedenheit überkommt mich, als mir bewusst wird, dass sich auch mein Sternschnuppenwunsch soeben erfüllt hat. Amys Gesicht war wirklich das Letzte, was ich in meinem Leben sehen durfte. Nun höre ich nur noch ihre sanfte, liebevolle Stimme.
    »Lass los, Matty!«, flüstert sie in mein Ohr. Ihr Atem vertreibt die letzte Kälte, ihre Worte sind so beschwörend, dass sie fast schon hypnotisch wirken. »Es ist okay, Matt. Ich bin hier und ich
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