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Deathbook (German Edition)

Deathbook (German Edition)

Titel: Deathbook (German Edition)
Autoren: Andreas Winkelmann
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beherrscht. Ladys sind weit geöffnet und von intensiver grüner Färbung, mit den katzentypischen, aufrecht stehenden Pupillen.
    Kathis Augen sind ebenfalls grün. Es gab nicht viele Teenager mit solchen Augen, voller Neugierde und dem unbändigen Drang, alles zu erfahren, und ich stellte mir nicht zum ersten Mal die Frage, ob an der hinduistischen These der Wiedergeburt etwas dran sein könnte – so viel Weisheit lag darin.
    In diesem Moment wollte ich daran glauben.
    Denn Kathi war tot.
    Ich ließ das vor Lebendigkeit vibrierende Bild auf mich wirken und spürte, wie mir der Hals eng wurde. In meiner Familie haben die Männer nie viel geweint, und ich war da keine Ausnahme. Kathi war vor gerade mal drei Tagen gestorben, und noch hielten der Schock und die bohrenden Fragen nach dem Wie und Warum die Tränen zurück. Ich konnte vor lauter Grübelei nicht mehr schlafen – schon gar nicht schreiben. Warum, warum, warum? Keine Erklärung, von niemandem. Und was die Polizei zu berichten hatte, war absolut unglaubwürdig. Ich war zwar nur Kathis Onkel, aber ich wusste es besser. Nie und nimmer hatte es sich so zugetragen.
    Sie war häufig bei mir gewesen, hatte sich mir anvertraut, wenn es in der Schule oder zu Hause mal wieder Ärger gegeben hatte. Zu behaupten, ich hätte sie besser gekannt als mein Bruder und seine Frau, wäre vermessen, aber ich konnte in vielen Dingen lockerer sein als Kathis Eltern, und Kathi vertraute mir. Ach, verdammt … die Enge im Hals verstärkte sich, und ich spürte, wie meine Mundwinkel zu zittern begannen. Vielleicht hätte ich heute nicht herkommen sollen. Vielleicht hätte ich das Foto nicht ausdrucken und in den schlichten Holzrahmen stecken sollen. Kathi hatte es mir erst vor ein paar Wochen per Dateianhang zugeschickt. Das war kurz nach ihrem Praktikum bei mir gewesen. Sie hatte mich angefleht, den Zukunftstag der Schule bei mir verbringen zu dürfen. Ihre Lehrerin hatte nichts dagegen gehabt, auch wenn es ein wenig ungewöhnlich war. Und ich gebe zu, ich fühlte mich geschmeichelt. Sie hatte gesagt, sie würde in der Schule mit mir angeben, und ich bezichtige jeden der Lüge, der behauptet, so etwas würde nicht der Eitelkeit schmeicheln.
    Kathi war es nicht darum gegangen, diesen Praktikumstag möglichst bequem irgendwie herumzukriegen. Ich wusste ja schon länger von ihrer Leidenschaft für Bücher und ihrem Wunsch, selbst etwas zu schreiben. Vielleicht rührte auch daher unsere enge Verbundenheit.
    Jetzt kamen die Tränen. Sie taten weh, und ich schämte mich ihrer nicht. Die ersten tropften auf Kathis Bild. Ich wischte sie mit dem Ärmel meines Pullovers fort und sah genauer hin. Kathi strahlte nicht nur mit ihren Augen, sondern mit dem ganzen Gesicht. Sie hatte einen breiten Mund, fast wie Julia Roberts, mit zwei Reihen weißer, gerader Zähne. Einzig die beiden oberen Schneidezähne waren ein wenig länger, aber nicht viel, und diese kleine Unregelmäßigkeit machte sie nur noch hübscher. Aus diesem Mädchen wäre eine Schönheit geworden, die viele Jungs um den Verstand gebracht hätte.
    Davon war nichts mehr übrig.
    Ich sah zum Sarg hinüber. Er stand auf zwei Holzböcken im halbrunden Anbau der Kapelle zwischen den beiden bodentiefen Buntglasfenstern. Es fiel kaum Licht herein, die Dämmerung hatte bereits eingesetzt. Ich war absichtlich so spät gekommen. Morgen würde Kathi beerdigt werden. Viele Menschen würden ihr letztes Geleit gewähren, und das war kein Rahmen, in dem ich Abschied nehmen konnte. Dafür musste ich heute hier mit ihr allein sein.
    Dort lag sie also, in dieser aufwendig gearbeiteten Holzkiste. Trotz all der schmückenden Messingbeschläge und Schnitzereien war es doch nichts weiter als eine Holzkiste, die irgendwann im Erdboden verrotten würde. Genau wie Kathis Körper.
    Der lange schwere Güterzug hatte nicht viel von ihm übrig gelassen.
    Einige Teile waren gar nicht gefunden worden. Tiere hatten sie wohl in den Wald getragen und gefressen. Manches war einfach zermalmt und vom Regen in den Boden gewaschen worden. Deshalb hatte ich das Foto mitgebracht. Ich kannte meine Phantasie, mir war klar gewesen, wenn ich den Sarg betrachtete, würde ich mir automatisch diesen zerstörten Körper vorstellen. Ich konnte das nicht abstellen, nicht einmal bei Kathi. Es war Teil meines Ichs. Fluch und Segen zugleich. Ich lebte gut davon. Und jetzt fragte ich mich zum ersten Mal, ob das nicht schäbig war.
    Kathi hatte bei mir stets elterliche Gefühle
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