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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot
Autoren: Joseph Zoderer
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es Livia und der Hund.
    Durch die Fensterläden des Hotels hörte er das Plätschern des Regenwassers in der Dachrinne und von der Straße herauf die kreischenden Stimmen von Kindern, manchmal auch das Tappen von Füßen im Treppenhaus. Wenn er das Regengeräusch vergaß, hatte er wieder das gleichmäßige Rätschen der Zikaden im Ohr von jenem ersten Sommer mit Livia, einen Bewegungsgesang, wie von hin- und zurückfahrenden Handsägen, ein tausendfältiges Geticke, das nur manchmal übertönt wurde vom Gluckern des Regenwassers in der Dachrinne.
    Ohne Mantel, nur mit Jacke und Hut lief Lukas um Mitternacht auf die Gasse hinaus, es regnete noch immer, Windstöße beutelten ihn, bald rann das Wasser von den Haaren herunter, sikkerte in den Hemdkragen, er mußte die Krempe mit beiden Händen über die Stirn drücken, dann wollte er sich, die Fäuste in den Jackentaschen, umsehen, doch schon flog der Hut vom Kopf und überschlug sich hoppelnd auf der glänzenden Straße. Er fing ihn ein, wußte, daß der Rand verdreckt war, sah auch die Kotspritzer über dem Schweißband, haha, lachte er und stülpte sich den Filz mit aller Kraft über die nassen Haare. Der Wind fuhr ihm unter die Jacke, aber der Regen war nicht kalt, das Wasser rann kitzelig über sein Gesicht. Er fragte einen Burschen, der mit gespreizten Beinen die abschüssige Straße heruntertorkelte, nach dem Stadtzentrum, und der Junge hieb mit dem Arm durch den Regen in eine Seitengasse hinein, in der sich ein roter Postkasten frisch gewaschen von der Mauer abhob. Lukas ging darauf zu, er hörte das leise Platschen der Tritte des abwärtsgehenden Burschen, und lehnte, als er nichts mehr hörte, den Kopf an das lackierte Metall des Briefkastens und versuchte mit angehaltenem Atem zu hören, ob er fast oder ganz leer war. Der Gedanke, eine Heimat haben zu können, reizte ihn, alles ringsum mit gleichsam geschärftem, aber auch belustigtem Blick anzustarren, alles, was greifbar war, möglichst in die Hand zu nehmen, zu betasten, zu beklopfen, zu zerreißen. Er sperrte die Augen jäh auf, um mit aufgerissenen Augen das zu sehen, was seine Heimat in diesem Moment ausmachen könnte, und sein Blick blieb am Lack des roten Briefkastens haften.
    Die Gasse war nicht asphaltiert, er begann auf die länglichen Pflastersteine zu achten, ausgetretene Steine, wohl jahrhundertealt, das Regenwasser blinkte in den Steinwannen unter den Lampen. An einer Hausmauer las er die schwarz aufgesprühten Wörter: PLAKATIEREN VERBOTEN . Mit den Händen in den Hosentaschen hüpfte er die enger werdende Gasse abwärts, er sah keine Geschäftseingänge oder Auslagen, nur die Türen zu den Wohnstiegen, geduckte alte Häuser, er wäre gerne in eines verschwunden, aber sie waren alle mit Sicherheitsschlössern unzugänglich gemacht, er fand kein einziges offenes Tor, um sich eine Minute lang in die Dunkelheit dahinter zu stellen.
    Johanna sah er, als er sie zum erstenmal sah, unter dem Bogen eines Männerarmes, der sich sehr langsam von oben herabsenkte und für eine kurze Weile einem Triumphbogen glich, bevor er sich um ihren Nacken schlang und ihr schmales Gesicht wie abgetrennt erscheinen ließ, wir alle lagen nebeneinander, auch sie beide, auf dem Asphalt einer weitflächigen Straßenkreuzung in der Innenstadt, viele lagen auf den Tramschienen, es gab keine Handbreit Platz zwischen den Körpern, und den meisten war das Warten so gewiß geworden, daß sie stumm blieben. Mitten in dieser von einer alltäglichen Sonne beschienenen Stille hatte er in Johannas Augen diese Lust am Nebensächlichen bemerkt, sie schien geradezu süchtig danach, das Unwichtigste zu beobachten, vielleicht unterschied sie sogar die Graufarben der Liegenden, sie wollte, wie ihm vorkam, einfach weiter leben. Er bemerkte, daß der Mann oder Freund den Arm von ihrem Hals wegzog, während er offensichtlich auf sie einredete, er sah deutlich die Mundbewegungen, und Johanna stützte sich auf einem Ellbogen und strich dem Geliebten über die Augen, oder vielleicht wischte sie ihm nur die Feuchtigkeit von den Lippen.
    Als er Johanna zum erstenmal sah, wartete Livia daheim auf das Ende des Vortragsabends, zu dem er allein hingegangen war.
    Als er Johanna zum erstenmal sah, wußte er schon, daß sie ihm von dem Mann erzählen würde, erst später, irgendeinmal, stellte er sich
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