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Das zweite Vaterland

Das zweite Vaterland

Titel: Das zweite Vaterland
Autoren: Jules Verne
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Rettungsbai höchstens um eine oder zwei Lieues vom offenen Meere entfernt sein kann.«
    Das konnte wohl zutreffen; wir haben indeß schon erwähnt, daß die entlegeneren Uferstrecken der Rettungsbai noch niemals besucht und besichtigt worden waren.
    Man wird sich leicht vorstellen können, welchen Empfindungen, nach einem Augenblick der Ueberraschung – der Verblüffung könnte man sagen – sich die Insassen der Neuen Schweiz hingaben. Ein Schiff… ohne Zweifel war ein solches in der Nähe, ein Schiff, von dem aus der Geschützdonner vom Winde bis nach der Haifischinsel getragen worden war!… War das nicht etwas wie ein Band, das dieses unbekannte Fleckchen Erde, worauf die Schiffbrüchigen des »Landlord« seit elf Jahren lebten, mit der bewohnten Welt verknüpfte? Die Kanone ist die Stimme der Seeschiffe… durch sie sprechen sie auf weite Entfernungen hin und diese Stimme hatte sich jetzt zum erstenmale vernehmen lassen, seit die Batterie der Haifischinsel den Anfang und das Ende der schönen Jahreszeit begrüßte. Es schien, als ob dieser Vorfall, auf den sie kaum je noch gerechnet hatten, den Vater Zerniatt und die Seinen ganz unglaublich überrascht, als ob jenes Schiff eine Sprache gesprochen hätte, die sie verlernt hatten.
    Sie beruhigten sich jedoch und dachten nur an die guten Seiten der neuen Sachlage. Dieses von fernher bis zu ihnen gedrungene Geräusch gehörte nicht zu den Geräuschen der Natur, an die sie gewöhnt waren, nicht zu dem Aechzen und Knarren der Bäume, wenn der Sturm sie rüttelte, nicht zum Rauschen und Brüllen des Meeres bei entfesseltem Orkane oder zu dem Donnergrollen bei den heftigen Gewittern dieser Tropengegend. Nein, es war sozusagen ein Werk von Menschenhand! Der Kapitän, die Mannschaft des Fahrzeugs, das hier das Meer kreuzte, mußten nun wissen, daß dieses Land nicht unbewohnt war. Ankerten sie in der Bai, so begrüßte voraussichtlich ihre Flagge noch die der Neuen Schweiz.
    Alle sahen in dem Zwischenfalle nichts anderes, als die Gewißheit einer baldigen Erlösung, Frau Zermatt fühlte ihre Befürchtungen vor der Zukunft schon verschwinden, Jenny gedachte ihres Vaters, den wiederzusehen sie kaum noch gehofft hatte, der ältere Zermatt und seine Söhne erwarteten wieder mit ihresgleichen zu verkehren, und vor Freude fielen sie einander in die Arme.
    Der erste Eindruck, den die hier verlassen lebende Familie empfing, war also derselbe, den etwa die Erfüllung der innigsten Wünsche hervorbringt. Die Augen nur auf das gerichtet, was dieses Ereigniß ihr Gutes versprach, schwelgte sie in frohester Hoffnung und war voll aufrichtiger Dankbarkeit gegen den Himmel.
    »Wir haben zuerst Gott zu danken für den Schutz, den er uns immer gewährt hat, begann Franz. Er ist es, dem wir unsere Erkenntlichkeit darzubringen, an den wir unsere Gebete zu richten haben!«
    Es war ganz natürlich, daß sich Franz in dieser Weise ausdrückte. Von jeher erfüllte ihn schon eine tiefe Religiosität, und diese hatte, je mehr er heranreifte, nur noch zugenommen. Ein offener, ehrlicher Charakter, hegte er die wärmste Zuneigung für die Seinigen, d. h. für alles, was bis jetzt für ihn die Menschheit gewesen war. Der jüngste der Brüder, spielte er doch etwa die Rolle eines Vermittlers und Berathers gelegentlich der seltenen Reibungen, die zwischen den Gliedern dieser so herzensinnigen Familie vorkamen. Was wäre wohl sein Beruf gewesen, wenn er in seinem Mutterlande gelebt hätte? Er würde sich in der Medicin, in der Rechtskunde und in der Gottesgelehrtheit unterrichtet haben, um dem tief in ihm schlummernden Bedürfnisse, für alle opferfreudig einzutreten, genug thun zu können, einem Bedürfnisse, das mit ihm ebenso eng verwachsen war, wie das zu körperlicher Thätigkeit bei Fritz und das zu geistiger bei Ernst. Er richtete an die Vorsehung also ein inbrünstiges Gebet, dem sich sein Vater, seine Mutter, Jenny und seine Brüder anschlossen.
    Unter den gegebenen Verhältnissen galt es nun, keine Stunde zu verlieren. Die wahrscheinlichste Annahme ging dahin, daß jenes Schiff, dessen Anwesenheit man nicht bezweifeln konnte, in einem der Ufereinschnitte verankert läge, nicht aber, daß es etwa auf offenem Meere an der Neuen Schweiz vorübersegelte. Vielleicht veranlaßten es die Kanonenschüsse, worauf es geantwortet hatte, eine nähere Besichtigung der Umgegend vorzunehmen; vielleicht versuchte es sogar nach Umschiffung des Caps, das diese an der Ostseite begrenzte. in die Rettungsbai
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