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Das Zauberschloß

Das Zauberschloß

Titel: Das Zauberschloß
Autoren: Ludwig Tieck
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gelitten hätte. Der schönste Mann in unserm kleinen Zirkel war der Kavalier, schlank, feurigen Auges, edler Physiognomie: um so auffallender stach aus dem reinen weißen Antlitz, auf der Nase selbst, ein ziemlich großer und recht brauner Leberfleck hervor.
    War dies eine auffallende Eigenthümlichkeit im Aeußern des Edelmanns, so hatte jener treffliche, gelehrte Jurist eine seltsame Gewohnheit, die uns Alle, die wir ihn näher kannten, dahin stimmte, ihm ungern Bücher zu leihen. Denn im Studiren konnte er es nicht unterlassen, jeden Strohfleck im Papiere, jede kleine Erhebung in demselben mit dem Nagel herauszukratzen. Da es nun nicht unbekannt ist, daß unsre deutschen Papiere an diesen Dingen, die wirklich, streng genommen, nicht zum eigentlichen Papiere gehören, einen großen Ueberfluß haben, so mangelte es dem jungen Juristen niemals während der geistigen auch an Handarbeit, und er war so unermüdet, selbst leidenschaftlich, daß viele Bücher, die er studirt hatte, voller Löcher waren, in welche auf der einen oder der andern Seite wohl einige schuldlose Buchstaben mit gestürzt wurden.
    Mutter und Tochter sahen den Vater an, an welchem sie dieselbe Eigenheit kannten.
    In unsern Lehrstunden, fuhr Schwieger fort, lasen wir, als wir etwas vorgeschritten waren, Cervantes Novellen, die uns der Professor vortrefflich erklärte. Es fehlte aber an Exemplaren, und der Theologe und ich arbeiteten in dem einen, der Edelmann und Jurist im zweiten; der Professor war seiner Sache so gewiß, daß er kein Buch nöthig hatte. An dem alten, seltnen Exemplar, in welches der Jurist mit hineinsah, hatte dieser schon manche Unebenheit mit seinem kritischen, fein fühlenden Nagel geebnet, manche Faser, kleines Hexel, oder was es war, künstlich aus dem saubern Text herausgearbeitet. Wer sich dieser Uebung hingeben will, hat bei der spanischen Literatur, die neuen Bücher abgerechnet, alle Nägel voll zu thun. An einem Tage machte ich aber die Entdeckung, daß mein juristischer Mitstudent in seiner Zerstreutheit auch andern Unebenheiten jenseit des papiernen Reiches den Krieg erklärte und ihnen abhelfen wollte. Indem er neben dem Edelmann in das Buch sah, kamen die Nasen der Speculirenden einander ziemlich nahe; sahe der Jurist nun an jenem den Leberfleck zum ersten Male, oder brachte dieser tiefer, als sonst, die Nase in das Buch, kurz, der zerstreute und doch tiefsinnige Jurist, Buch und Nase an jenem unseligen Tage verwechselnd, erhob den feinen und zu dergleichen Aetzarbeit geübten Finger und kratzte und arbeitete an dem Leberfleck jener Nase erst fein und leise, im mäßigen Tempo, dann eifriger und schneller, erst in der prickelnden, dann in der schabenden Manier, so daß ich, der ich gegenüber mit Sicherheit den Gang der Radirnadel beobachten konnte, besorgt seyn mußte, daß in der Länge, wenn auch der Leberfleck sich vertilgen ließe, die Nase selbst, der Grund und Boden, auf welchem jener wuchs, bedeutenden Schaden leiden möchte. –
    Ich weiß nicht, sagte Freimund, wo ich die einfältige Geschichte schon sonst muß gehört haben; denn sie ist mir nicht unbekannt. –
    – Der Edelmann, fuhr Schwieger fort, schien anfangs erstaunt, bewegte sich nicht und ließ den Arbeiter gewähren, vielleicht neugierig, was sich aus dieser Unternehmung ergeben solle. Endlich aber doch erhob er das Gesicht zusammt der Nase aus dem Buche, sah den Kratzenden groß an und that die billige Frage: Warum, Herr, oder aus welcher Absicht kratzen Sie mir an der Nase?
    Ich? erwiederte der Jurist erstaunt; daß ich nicht wüßte.
    Ja, mein guter Herr, wenn Sie es also noch nicht wissen, so erfahren Sie denn, daß dieses hier bis jetzt meine wahre, eigenthümliche Nase gewesen ist und auch in Zukunft bleiben soll.
    Ich war der Meinung, sagte der Jurist, der Fleck dort sei nur hier im Buche.
    Ich bitte mir aber zu glauben, sagte der Edelmann schon heftiger, daß er wirklich auf meiner Nase ist, und wenn Sie mir nicht glauben wollen, so können es diese Herren, so wie der Herr Professor selbst bezeugen.
    Der Professor, der sehr kurzsichtig war, hatte von jenem Nasenanfalle Nichts bemerkt, und da die Stunde überdies geendigt war, verließen wir das Haus.
    Unmöglich, sagte der Edelmann auf der Straße, kann ich glauben, daß Sie, mein Herr, mein Gesicht mit jenem gedruckten Buche haben verwechseln können, Sie haben offenbar Händel an mir gesucht, und ich stehe Ihnen zu Befehl. Der Theolog hatte sich schon entfernt, ich suchte die Sache
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