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Das Wrack

Titel: Das Wrack
Autoren: Friedrich Gerstäcker
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besonders dafür zu interessieren und war schon nach dem großen Marsen mit seinem Glas hinaufgestiegen, um von hier einen besseren Überblick zu gewinnen.
    »Für was für einen Landsmann halten Sie ihn, Mr. Brown?«, fragte jetzt der Kapitän hinauf, der vom Deck aus das verlassene Schiff ebenfalls genau betrachtet hatte.
    »Kann's nicht genau sagen, Sir«, rief der Steuermann oder Mate, wie er an Bord kurzweg genannt wurde, zurück. »Liegt spitz von uns weg und ich kann den Namen noch nicht lesen. Sieht mir beinah aus wie ein Holländer.«
    »Möcht es auch sagen«, nickte der Kapitän. »Lebendes ist aber an Bord nicht zu erkennen?«
    »Keine Seele, Sir. Die Leute müssen aber an Land gewesen sein – dort auf den Klippen haben sie eine shanty gebaut.«
    »Die Segel sind noch beschlagen.«
    »Alles festgemacht – schade um das schöne Tuch, das dort jetzt in Wind und Wetter verfaulen soll.«
    Die Unterhaltung war für eine Weile abgebrochen, und die Aufmerksamkeit der Seeleute wurde auch jetzt ausschließlich auf die Klippenreihe selber gelenkt, die immer deutlicher zum Vorschein kam.
    Die barrier reefs sind auch in der Tat ein höchst interessanter Punkt für den Seemann und dazu passend genug benannt, denn die aus der Tiefe steil aufsteigenden Korallenfelsen bilden hier eine förmliche Barriere von Klippen, die mit Ausnahme von nur wenigen schmalen Einfahrten die Passage zwischen Australien und der nördlich davon liegenden großen Insel Papua oder Neu-Guinea hermetisch verschließen. Ordentliche Mauern bilden sie Meilen lang, unmittelbar vor denen ein hundert Faden haltendes Senkblei keinen Grund finden würde, während über ihren Rand hin – da die Koralle nur bis zur Oberfläche des Meeres wächst – die dagegen brandenden Wellen ihre weiße Gischt spritzen und sich rastlos donnernd überstürzen.
    Die Einfahrt selber zeigt dann nur ein schmaler Streifen dunkles und ruhiges Wasser, das aber, wenn auch links und rechts von einer bäumenden Woge abgeschlossen, doch eine vollkommen sichere und tiefe Bahn bietet – einen Kanal, der sich hindurchzieht und im Innern dann wieder ausweitet. Im Innern aber ist dafür auch wieder leicht Ankergrund zu finden, ja an vielen Stellen die Passage kaum mehr als fünf Faden, also etwa dreißig Fuß tief. Nur die eine Nordpassage, die aber auch schwieriger zu finden ist, soll tieferes Fahrwasser haben.
    Alte Seekapitäne haben aber in der Auffindung solcher Stellen ein Gefühl, das man fast Instinkt nennen könnte, und mit nur Brise genug, dass sie ihr Schiff in der Gewalt behalten, wie einer genauen Kenntnis desselben, was es zu leisten vermag und wie nahe sie sich an eine Leeküste hinan wagen dürfen – das heißt, wie dicht am Wind sie im schlimmsten Fall wieder absegeln können –, steuern sie ihr Schiff oft und unerschrocken in die schwierigsten Passagen hinein.
    Kapitän Wilkie von der Betsy Ann, obgleich ihm das ganze gefährliche Terrain vollkommen unbekannt war, ließ denn auch seine kleine gewandte Brigg ruhig gerade gegen die Klippenreihe – die bis jetzt für das Auge nur einen ununterbrochenen Schaumgürtel bildete – anlaufen, und mit der Karte neben sich, das Teleskop in der rechten Hand, stand er jetzt vorn auf der Back und beobachtete die vollen Gischtberge voraus.
    »Ich sehe die Einfahrt, Kapitän«, rief der Steuermann jetzt von oben herunter.
    »Wo, Mr. Brown?«
    »Ganz gerade voraus. Wir segeln genau darauf zu.«
    Ein Lächeln flog über die wetterharten Züge des Seemanns, dass er den Punkt so getroffen, denn er wusste wohl, welchen guten Eindruck das auf die Leute machte, wenn sie volles Vertrauen auf die Führung ihres Vorgesetzten haben durften. Er stieg aber jetzt zu seinem Steuermann, um von hier aus das Schiff besser zu dirigieren, und nach kaum einer Viertelstunde weiterer Fahrt lag die Mündung des Kanals so klar und deutlich vor ihnen, dass sie kaum noch etwas weiteres zu tun hatten, als Kurs zu halten.
    Jetzt aber wandte der Mate auch seine Aufmerksamkeit wieder dem Wrack zu, das indessen ebenfalls nahe gekommen war und durch das gute Glas dicht vor ihnen lag. Es war ein Barkschiff, mit allen Segeln auf, aber dicht beschlagen an den Rahen, sonst aber mit keinem lebenden Wesen an Bord. Das Wrack lag vollkommen fest und sicher zwischen den Klippen, in die es jedenfalls eine der Brandungswellen hineingehoben hatte und aus denen es Menschenkraft nie wieder befreien konnte. Die Mannschaft musste übrigens volle Zeit behalten haben, sich
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