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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit
Autoren: Carlos Castaneda
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Unterhaltung, sobald ich bequem auf der Kiste saß. Mit einem freundlichen Lächeln erklärte er, Leute mit Übergewicht seien so gut wie nie in der Lage, gegen das Dickwerden anzukämpfen. Sein Lächeln verriet, daß er es ernst meinte. Er gab mir damit auf eine sehr direkte, gleichzeitig aber auch indirekte Weise zu verstehen, daß ich Übergewicht hatte. Ich wurde so verlegen, daß ich die Kiste umkippte und mit dem Rücken heftig gegen die dünne Hauswand prallte. Der Schlag erschütterte das Haus in seinen Grundfesten. Don Juan sah mich fragend an, aber anstatt sich nach meinem Wohlbefinden zu erkundigen, versicherte er mir, ich hätte das Haus nicht zum Einsturz gebracht. Dann erklärte er mir eingehend, dieses Haus sei für ihn nur eine vorübergehende Bleibe. In Wirklichkeit wohne er woanders. Als ich ihn fragte, wo er in Wirklichkeit wohne, sah er mich an - nicht feindselig, sondern eher mit der Entschlossenheit, unangemessene Fragen abzuwehren. Ich verstand nicht, was er von mir erwartete, und wollte ihm dieselbe Frage noch einmal stellen, aber er unterbrach mich.
    »Solche Fragen stellt man hier nicht«, erklärte er mit Nachdruck. »Du kannst alles fragen, was mit Verhalten oder Ideen zu tun hat. Wenn ich dir überhaupt jemals verrate, wo ich wohne, dann werde ich es tun, ohne daß du mich danach fragen musst.«
    Ich fühlte mich sofort zurechtgewiesen und wurde unwillkürlich rot. Ich war tief gekränkt. Don Juans dröhnendes Gelächter erhöhte noch meinen Ärger. Er hatte mich nicht nur zurechtgewiesen, sondern schwer beleidigt, und dann hatte er auch noch über mich gelacht. »Ich wohne hier nur vorübergehend«, sprach er weiter, ohne auf meine schlechte Laune zu achten, »denn hier befindet sich ein magisches Zentrum. Um die Wahrheit zu sagen, ich wohne deinetwegen hier.«
    Diese Aussage verwirrte mich. Ich konnte es nicht glauben. Ich dachte, er sage das vermutlich nur, um meinen Verdruß über die Beleidigung etwas zu mildern.
    »Wohnst du wirklich meinetwegen hier?« fragte ich schließlich, da ich meine Neugier nicht länger unterdrücken konnte.
    »Ja«, erwiderte er ruhig. »Ich muss dich vorbereiten. Du bist wie ich. Ich werde dir noch einmal wiederholen, was ich dir bereits gesagt habe. Der Nagual oder Anführer jeder Generation von Zauberern muss einen Mann oder eine Frau finden, der oder die wie er selbst eine doppelte energetische Struktur aufweist. Ich habe dieses Merkmal in dem Busbahnhof in Nogales bei dir gesehen. Wenn ich deine Energie sehe, dann sehe ich zwei leuchtende Kugeln übereinander. Dieses Merkmal bindet uns aneinander. Ich kann dich ebensowenig zurückweisen wie du mich.«
    Seine Worte lösten eine höchst seltsame Erregung in mir aus. Einen Augenblick zuvor war ich noch wütend gewesen, jetzt wollte ich weinen.
    Er fuhr fort und sagte, er habe die Absicht, mich mit Unterstützung der Kraft dieser Gegend, in der er wohnte und die ein Zentrum sehr starker Gefühle und Reaktionen sei, auf den Weg des Kriegers zu bringen, wie die Schamanen es nannten. Kriegerische Menschen hätten über viele tausend Jahre hier gelebt und das Land mit ihrer kämpferischen Lebensweise durchtränkt.
    Er wohnte damals im Staat Sonora im nördlichen Mexiko, ungefähr hundert Meilen südlich der Stadt Guaymans. Dort besuchte ich ihn immer unter dem Vorwand meiner wissenschaftlichen Feldarbeit. »Muss ich in den Krieg ziehen, Don Juan?« fragte ich ernsthaft besorgt, nachdem er erklärt hatte, die Beschäftigung mit Krieg sei etwas, das ich eines Tages brauchen werde. Ich hatte bereits gelernt, alles, was er sagte, sehr ernst zu nehmen.
    »Darauf kannst du Gift nehmen!« erwiderte er lächelnd. »Wenn du alles in dich aufgenommen hast, was man in dieser Gegend aufnehmen kann, werde ich von hier wegziehen.«
    Ich hatte keinen Anlaß, an seinen Worten zu zweifeln,, aber ich konnte mir nicht vorstellen, daß er an einem anderen Ort wohnen sollte. Don Juan gehörte voll und ganz zu allem, was ihn umgab. Sein Haus schien allerdings in der Tat nichts von Dauer zu sein. Es war eine typische Hütte der Yaqui-Bauern mit einem flachen
    Schilfdach. Die Wände bestanden aus mit Lehm beworfenem Flechtwerk. Es gab einen großen Raum zum Essen und Schlafen und eine Küche ohne Dach. »Leute mit Übergewicht sind schwierig«, sagte er. Es schien eine zusammenhanglose Bemerkung zu sein, aber das stimmte nicht. Don Juan kehrte lediglich zu dem Thema zurück, mit dem er begonnen hatte, bevor ich ihn dadurch
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