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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus
Autoren: Judith Lennox
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nehme ich an.« Als ihr Vater ihr mitgeteilt hatte, daß sie die Stipendiatenprüfung bestanden hatte, war sie eher bedrückt als beschwingt gewesen.
    Sie begann eine Runde um den Teich zu schwimmen. Viele Gedanken schossen ihr durch den Kopf: an die schmutzigen Hütten der Landarbeiter in den Fens; an die triumphierenden Radioberichte nach der Beendigung des Generalstreiks; an ihre Eindrücke jedesmal, wenn sie durch Cambridge ging, wo so viele Mädchen, die jünger waren als sie, für niedrige Löhne lange Stunden eintönige Arbeit taten.
    »Robin will die Welt verändern, stimmt's, Robin?«
    Maias Ton war sarkastisch. Aber Robin, die unter der Veranda kaltgemacht hatte, zuckte nur die Achseln und blickte nach oben.
    »Komm doch auch rein, Helen. Ich bring dir das Schwimmen bei.«
    Helen schüttelte den Kopf. Das von blondem Haar umrahmte Gesicht unter dem breitkrempigen Strohhut zeigte eine Mischung aus Furchtsamkeit und Verlangen.
    »Aber vielleicht plansche ich ein bißchen.« Sie lief ins Winterhaus und kam wenige Minuten später barfuß wieder heraus. Weißen Rock und Unterröcke raffend, setzte sie sich auf die Kante der Veranda und tauchte die Füße ins Wasser. Sie schnappte nach Luft.
    »Ist das kalt! Wie haltet ihr das aus?«
    Hugh kam über den Rasen zu ihnen. Robin winkte und rief ihn. Helen zog errötend ihre Zehen aus dem Wasser und glättete ihren Rock, Maia hingegen, der das durchnäßte Hemdchen am schlanken Körper klebte, schwamm zu ihm hin und lächelte.
    »Kommst du rein, Hugh, Darling?«
    Er sah lächelnd zu ihr hinunter. »Bestimmt nicht. Ihr seid ja verrückt. Es ist gerade mal April – ihr werdet zu Eis erstarren.«
    Seine Stimme wurde zu Robin hinübergetragen, die an der tiefsten Stelle im Teich tauchte. Sie atmete tief durch und schoß noch einmal abwärts durch Wasser und Tang, bis ihre kalten, gefühllosen Finger etwas berührten, das halb vergraben im sandigen Grund steckte. Aufwärts steigend, stieß sie aus dem Wasser heraus und schnappte gierig nach Luft. Ihre Finger waren weiß geworden, ihre Nägel bläulich, aber in ihrer Hand lag eine Süßwassermuschel, ganz ähnlich denen, die den Spiegel im Winterhaus umrahmten.
    Sie hörte Hugh sagen: »Ich fahr dich nach Hause, ja, Helen? Und, Maia, du bleibst doch zum Essen, nicht wahr?«
    Später zog Robin in Daisys Zimmer Rock und Bluse aus und ließ sie zu Boden fallen. Das neue Kleid glitt leicht über ihren Kopf, dunkelbrauner Samt, die gleiche Farbe wie ihre Augen. Widerstrebend sah sie in den Spiegel. Das Kleid war sehr schön: tief angesetzte Taille, knielang, an Hals und Ärmel mit cremefarbener Spitze abgesetzt.
    »Gefällt es dir nicht?«
    »Es ist wunderschön.« Robin machte ein hoffnungsloses Gesicht.
    »Es liegt nicht am Kleid – es liegt an mir. Ich wollte, ich wäre groß wie Maia – oder ich hätte einen Busen wie Helen. Sieh mich doch an. Klein und dünn und Haare wie eine Maus.«
    Den Mund voller Stecknadeln, kniete sich Daisy auf den Boden und begann den Saum hochzustecken.
    »Was meinst du, bin ich gewachsen?«
    Daisy schüttelte den Kopf: Robin seufzte. Daisy murmelte: »Wenn du aus der Schule bist, kannst du hohe Absätze tragen.«
    Von draußen war das Geräusch eines näher kommenden Automobils zu hören. Robin zog den Vorhang zur Seite und sah zu, wie Hugh, von einer Schar Wochenendgäste verfolgt, vom Wagen zum Haus hinkte.
    »Hugh hat Richard gesagt, daß er gern Privatunterricht geben würde.«
    »Oh …« Mit einem strahlenden Lächeln umarmte Robin ihre Mutter.
    Daisy griff wieder zu den Stecknadeln. »Wenn er nur ein nettes junges Mädchen kennenlernen könnte.«
    »Ich finde, er sollte Helen heiraten. Die beiden verstehen sich unheimlich gut. Und Helen will sowieso nur heiraten und Kinder haben.«
    »Du sagst das so, Robin, meine Liebe, als wäre es unangebracht für eine Frau, sich eine Familie zu wünschen.«
    »Ach, Familie«, versetzte Robin wegwerfend. »Einkaufen, nähen, kochen. Man verliert seine Selbständigkeit und muß sich das Geld von seinem Mann zuteilen lassen, als wäre man ein Kind oder ein Dienstbote.«
    Sie wurde rot und zog hastig das Kleid über den Kopf. Selbst ihr Vater, Anhänger der sozialistischen Fabier-Gesellschaft und hartnäckiger Verfechter der Frauenrechte, gab Daisy jede Woche einen festen Betrag für den Haushalt und dazu ein monatliches Taschengeld für ihre Garderobe. Daisy stand mit dem Rücken zu ihr; Robin war sich mit schlechtem Gewissen ihrer Taktlosigkeit
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