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Das weiße Krokodil

Das weiße Krokodil

Titel: Das weiße Krokodil
Autoren: C. C. Bergius
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Freund hat einen kleinen Schwächeanfall und bittet darum, ihn vorerst nicht mehr zu fotografieren. Bilder, die ihn mit seinen Tieren zeigen, können Sie bei mir erhalten. Ebenfalls die im Prospekt erwähnten Pagodensteine, die rheumatische Schmerzen aller Art binnen weniger Tage beseitigen.«
    »Kann ich die mal sehen?« rief eine ältere Dame.
    »Aber natürlich!« erwiderte Yen-sun und wies auf ein Fach, das mit mosaikartigen Steinchen gefüllt war, die er auf Anraten des Malaien aus den seinerzeit heimlich mitgenommenen Majolika-Dachziegeln hatte schneiden lassen.
    »Und die sollen rheumatische Schmerzen beseitigen?«
    »Ja«, antwortete er lebhaft. »Fragen Sie mich aber nicht, wieso und warum. Man vermutet, daß sie Spuren von Radium enthalten.«
    »Und was kosten die Steine?«
    »Sie sind nicht billig, da es nur wenige gibt: zehn Singapore-Dollar das Stück.«
    »Dann geben Sie mir zwei. Ich habe nämlich eine Freundin, die unter Rheuma leidet.«
    »Ich möchte ein Boot mieten«, mischte sich ein Herr in das Gespräch.
    Yen-sun reichte ihm einen Zettel. »Der Matrose an Bord wird Ihnen die Ruder geben.«
    »Was kostet der Spaß?«
    »Drei Dollar die halbe Stunde.«
    »Well, dann will ich mir mal einige von den herrlichen Seerosen holen.«
    »Kennen Sie zufällig deren Namen?« erkundigte sich die Käuferin der ›schmerzlindernden‹ Steine.
    Der Herr nickte. » Victoria Regia. Daheim bekommt man sie nur in botanischen Gärten zu sehen.«
    »Dann möchte ich ebenfalls ein Boot mieten.«
    »Okay, Madam!«
    Weitere Gäste drängten an die Verkaufstruhen heran und verlangten Fotos von der Pagode, den Affen und dem weißen Krokodil.
    Yen-sun bediente nach allen Seiten und legte Bilder vor, von denen er genau wußte, daß sie den neben ihm stehenden Tie-tie aufbringen mußten. Denn aus der großen Anzahl der vor Monaten gemachten Aufnahmen hatten er und sein Kompagnon nur solche ausgewählt, die komisch wirkten und zum Lachen reizten. Darüber hinaus war es dem rundlichen Malaien gelungen, den Wahrheitsgehalt einiger Darstellungen durch Übereinanderkopieren verschiedener Fotografien in unglaublicher Weise zu verfälschen. Unter ihnen befand sich ein Bild, das Tie-tie auf dem Rücken des weißen Krokodils zeigte. Der Text darunter lautete: Der Clown unter den Dompteuren kennt keine Furcht. Er lebt zurückgezogen inmitten des Dschungels, wo er alle nur greifbaren Tiere wie Kinder behandelt und erzieht; sogar das sagenhafte weiße Krokodil, das nachweislich schon viele Menschen getötet hat.
    Tie-tie wurde kreidebleich, als er das gefälschte Foto erblickte. Als er dann noch die anderen, ihn in jeder Weise entstellenden Bilder entdeckte, wurde ihm klar, warum ihn niemand ernst nahm und alle über ihn lachten. Man hatte einen skurrilen Tierbändiger und Narren aus ihm gemacht. Man verschwieg, daß er ein tibetischer Mönch war, und deklarierte seine gelbe Kutte als das absonderliche Gewand eines seltsamen Einzelgängers. Man belog die Menschen frech, um eine abgelegene Pagode attraktiv zu machen. Und er konnte nichts dagegen unternehmen, da es außer Yen-sun niemanden gab, der seine Sprache verstand. Sekundenlang war er nahe daran, seinen Schmerz hinauszuschreien, um den Besuchern durch seine Empörung zu zeigen, daß alles Lug und Trug sei. Doch dann unterließ er es, weil er befürchtete, damit nur Öl auf das Feuer zu gießen, das Yen-sun und dessen berechnender Freund entfacht hatten.
    Tränen traten ihm in die Augen. Er schämte sich ihrer nicht, als er sich in die Kette der zur Pagode emporsteigenden Ausflügler einreihte. Er wollte sich in seine Kammer zurückziehen, wollte allein sein, allein mit sich und dem Allmächtigen, der ihm diese Prüfung gewiß nicht grundlos schickte. Er war in die Einsamkeit gegangen, um sich zu bewähren und nicht, um schon im Diesseits ein paradiesisches Leben zu führen. Je länger er über alles nachdachte, um so sicherer wurde er, daß für ihn die Stunde der Bewährung gekommen war.
    Diese Vorstellung gab ihm neue Kraft. Er lächelte still vor sich hin, als er, mit der Henne ›Ting‹ unter dem Arm, durch das Spalier der über ihn kichernden Menschen in den Tempel eintrat und seinen Schlafraum aufsuchte, den er an diesem Tage hinter sich verriegelte.
    Indessen bahnte sich vor und in der Pagode ein Treiben an, das an einen Rummelplatz erinnerte. Mit staunenswerter Unvernunft drängten fast alle Passagiere gleichzeitig in den Tempel hinein, in dem der rundliche Malaie einen
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