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Das Wahre Spiel 02 - Der Nekromant

Das Wahre Spiel 02 - Der Nekromant

Titel: Das Wahre Spiel 02 - Der Nekromant
Autoren: Sheri S. Tepper
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dächte, daß du dich dadurch in Gefahr begibst.«
    Wie konnte ich ihm die Gefahr erklären, vor der ich mich fürchtete? Gut, mir wurde bei dem bloßen Gedanken schlecht. Alpträume und Schreckensbilder würden mich verfolgen. Aber Gefahr? Ich würde weder Fleisch noch Blut verlieren, und vielleicht war das die einzige Art von Gefahr, die zählte. Tossa, Rätsels Tochter, hatte ihr Leben verloren, als sie mir helfen wollte. Ich konnte ihm seine Bitte nicht abschlagen.
    »Morgen früh«, bat ich. »Nicht in der Nacht.«
    »Gewiß. Morgen früh«, stimmte er zu. Bei dem bißchen Schlaf, das ich daraufhin fand, hätte ich das Vorhaben jedoch genausogut in der Nacht in Angriff nehmen können.
    Wir gingen im Morgengrauen zu dem Grab. Man hatte Mandor nicht bei seinen Ahnherren und Vorgängern in den Katakomben unterhalb der Burg beerdigt, und ich war dankbar dafür. Dort unten häuften sich die Geister so dick übereinander wie die Fliegen auf einem dösenden Hund, und ich beabsichtigte an diesem Tag nicht, eine Armee zu wecken. Nein, Mandor lag unter dem Rasen in einer kleinen Einbuchtung an der Nordmauer der Burg, ein Platz, an dem es würzig nach Gras roch und wo es, abgesehen von den Seufzern des Windes, der durch die dunklen Tannen strich, die im Umkreis standen, vollkommen still war. Rätsel ließ mich allein an die Stelle gehen und blieb so weit zurück, daß sein eigenes, seltsames ›Talent‹ meines nicht verhinderte. Oder Dorns … Als ich ihn verließ, sagte er:
    »Wir müssen erfahren, woher diese Dinge stammen. Ihren Zweck, wer sie angefertigt hat. Kannst du das alles fragen?«
    Ich versuchte, es ihm zu erklären. »Rätsel, ich habe zuvor noch nie Geister befragt. Ich weiß nicht, was für ein Wissen sie besitzen. Diese Entfleischlichten, die ich damals an die Oberfläche der Erde rief, waren sehr, sehr alt, älter, als unsere Erinnerungen zurückreichen, bloße Kreaturen aus Staub und Hunger, Gespenster, die mir zu Willen waren.«
    »Man sagt, Nekromanten seien außerordentlich spitzfindig.«
    »Ich werde versuchen, so spitzfindig zu sein, wie es mir möglich ist.« Obwohl eher Dorn spitzfindig sein mußte und nicht Peter. Ich nahm die kleine Spielfigur in die Hand. Meine Finger fanden sie sofort in dem Beutel, als hätte sie sich durch das Gewühl nach oben gearbeitet, um in meinen Griff zu gelangen. Wie Hitze strömte Dorn in mich, verbrannte zuerst meine Haut und kochte sich dann tiefer und tiefer in mich hinein. An ihm war nichts Geisterhaftes oder Unklares, er war eher wie ein Mann, der zu einem vertrauten Platz zurückkehrt. Ich war nicht überrascht, als er mich begrüßte. »Peter.«
    »Dorn«, flüsterte ich. Das letzte Mal hatte ich Angst gehabt. Diesmal fürchtete ich mich weniger, und das erklärte vielleicht meine Höflichkeit ihm gegenüber, als ob er mein Gast sei. Ich sagte ihm, was wir tun sollten, und er wurde erneut zu meinem Lehrer.
    »Hier und hier«, sagte er. »Auf diese Weise und auf jene.« Meine Hand streckte sich aus, aber es war Dorn, der auf das Gras deutete, Dorn, der die Knochen und den Staub darunter anrief, aufzustehen. Mandor war noch nicht lange tot. Der Boden brach auseinander, und der Schrecken kroch heraus, ganz langsam. Die Würmer fielen von ihm ab, als er sich erhob. Ich hörte, wie Rätsel auf dem Hügel hinter mir ein Keuchen unterdrückte, aber ob aus Scheu oder aus Angst, konnte ich nicht sagen.
    »Auf diese Weise und jene«, fuhr Dorn fort. »So und so.« Die Knochen bekleideten sich mit Fleisch, das Fleisch mit einem herrschaftlichen Gewand. Aus dem Kopf wurde mehr als ein Totenschädel, bis es schließlich ein gekröntes Haupt war und bis sich zuletzt alles, was am Schluß von Mandors Leben so schrecklich gewesen war, wieder zu der Schönheit gewandelt hatte, die ich aus der Schulstadt kannte, und mich durch die Augen des Todes anschaute, strahlend und schön wie die Sonne, graziös wie Gras.
    Diese unheimliche Erscheinung stieß einen Schrei solch gespenstischer Freude aus, daß mein Herz eiskalt wurde. »Unversehrt«, rief die geisterhafte Stimme. »Oh, ich bin unversehrt wiederauferstanden …«
    Ich war den Tränen nahe. Diese Unversehrtheit war kein beabsichtigtes Geschenk, und doch … ich hätte sie ihm schon zu seinen Lebzeiten zum Geschenk gemacht, wenn ich bloß gewußt hätte, wie. »So und so«, sagte Dorn in meinen Gedanken, »du hättest ihn während seines Lebens keine Minute in diesem Zustand halten können.«
    Vom Hügel rief Rätsel
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