Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]

Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]

Titel: Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
Autoren: Liane Sons
Vom Netzwerk:
meinen Sohn und meinen Gatten wiedersehen, aber ich vermag nicht mehr zu tun, was dafür nötig ist.«
    »Eine andere Möglichkeit besteht nicht?«
    »Zumindest weiß ich von keiner anderen. Geh, Neffe! Meine Wünsche und Gebete werden dich begleiten.«
    Rhonan sah gedankenverloren vor sich hin. Er sah Caitlin vor sich, spürte ihre Hände, nahm ihren Duft wahr und hörte sie fröhlich plaudern, über den Namen, den ihr Sohn einmal tragen sollte. Er sah ihre flehenden Augen und hörte ihre Stimme: Wenn du stirbst, werde ich vor Kummer vergehen! Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte sein Entschluss ihn nur wenig Überwindung gekostet. Zu leer und düster war sein Leben gewesen, um ernsthaft daran zu hängen, aber jetzt war es völlig anders. Er wollte so gern leben und jeden neuen Tag an Caitlins Seite genießen. Doch er dachte auch an Palema und hörte auch Derea, wie er davon sprach, dass das Licht erneut verlöschen würde. Mit Mühe riss er sich von seinen Gedanken los, nickte entschlossen und sammelte die Siegel wieder auf. »Wenn du es nicht mehr kannst, muss ich die Siegel eben vernichten.«
    »Nein! Ich verbiete es dir!«
    Freudlos lachte er auf. »Du kannst mir nichts verbieten, denn du kannst mich nicht daran hindern.«
    »Von diesem Weg gibt es kein Zurück, Rhonan.«
    »Das hatte ich auch nicht angenommen. Aber ich bin nicht gekommen, um erneut Unrecht zu begehen und die Welt in Dunkelheit versinken zu lassen. Und wenn ich auch dir endlich Frieden bringen kann, werde ich es tun.«
    »Was ist mit Caitlin?«
    Seine Miene blieb unbewegt, aber ein unwillkürliches Zittern durchlief seinen Körper. »Sie hat Freunde, die ihr beistehen werden.«
    »Und dein Kind?«
    »Meinem Kind könnte ich nichts Schlimmeres antun, als die Quelle erneut zu versiegeln und ihm ein solches Erbe zu hinterlassen. Salia, bitte, ich will nicht mehr reden, ich will gehen.«
    »Ein schneller und heldenhafter Entschluss! Aber du solltest ihn doch noch einmal überdenken. Glaube mir, nicht die Siegel haben die Welt verändert, sondern nur ihre Trägerinnen. Da mein Siegel unwiederbringlich verloren ist, können meine Schwestern nicht wieder zurückkehren. Die Welt würde nicht erneut in Düsternis versinken. Diese Angst ist unbegründet. Geh, Kind, und versuche, dein Glück zu finden.«
    »Nein!« Er atmete tief durch. »Mach es mir nicht schwerer als es ohnehin schon ist! Ich bin kein Held, ich wähle nur das kleinere Übel. Lass uns gehen!«
    »Willst du dein Kind denn nicht aufwachsen sehen?«
    »Das fragst ausgerechnet du?« Seine Augen wurden feucht, und er rang mühsam um Beherrschung. »Caitlin und mein Kind bedeuten mir alles, aber auch sie werden niemals Ruhe haben, bevor die Siegel nicht vernichtet sind. Du hast deinen Sohn getötet, um ihn vor größeren Leiden zu bewahren, mir bleibt zumindest das erspart. Ich würde gern …« Ihm versagte die Stimme, und eine Träne lief ihm über das Gesicht.
    Erneut straffte er sich und wischte sie in einer heftigen Bewegung weg. »Aber ich weiß, dass ich es nicht kann und darf. Und du weißt auch, dass ich es nicht darf. Die Menschen, du, dein Kind, wir alle haben bereits genug unter Palema gelitten. Nie werde ich dulden, dass sie auch noch das Leben meines Kindes zerstört. Sie wird alles daransetzen, es nach ihren Wünschen zu formen, um sich erneut die Welt untertan zu machen. Was ihr bei mir nicht gelungen ist, wird sie bei meinem Kind versuchen, und ihre Macht wird wieder wachsen, wenn die Quelle erneut versiegelt ist. Niemals werde ich das zulassen. Die Zeit der Unsterblichen muss vorüber sein. Lass uns endlich gehen!«
    Wieder spürte er eine Berührung, diesmal streichelnd und zärtlich. »Wenn du nur ein wenig wie Palema wärst, würde ich dein Angebot mit Freuden annehmen. So nehme ich es zutiefst dankbar, aber auch erfüllt mit tiefer Trauer an. Gehen wir also diesen letzten Weg gemeinsam. Uns verbindet viel, Neffe. Ohne Schuld wurden wir unbarmherzig verfolgt und bestraft. Beide haben wir für unser Glück gekämpft, und beide durften wir es nur kurze Zeit genießen.«

    Derea erwachte, weil jemand ihm ins Gesicht klopfte. Er öffnete die Augen, blinzelte ins Licht der Sonne und sah schemenhaft, Gideons Gesicht über sich. Er fuhr so schnell hoch, dass der Gelehrte erschrocken zurückwich, und brüllte: »Wie lange war ich weg? Ist die Quelle wieder versiegelt?«
    »Ich weiß nicht, wie lange du hier schon liegst«, erwiderte der Verianer verblüfft. »Aber die Quelle ist
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher