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Das Versprechen des Opals

Das Versprechen des Opals

Titel: Das Versprechen des Opals
Autoren: Tamara McKinley
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Stute?«
    Henry wagte nicht, seinen Vater anzusehen. Er nahm sich ein Glas Sherry von dem Silbertablett auf dem Beistelltisch und setzte sich zu seiner Mutter. Die Bemerkung seines Bruders war allzu nah an der Wahrheit gewesen, und der alte Gauner besaß einen messerscharfen Verstand, wenn es darum ging, Fehltritten auf die Spur zu kommen. »Finnigan glaubt, sie kommt durch«, sagte er. »Aber das sollte ihr letztes Fohlen sein. Sie ist zu alt.«
    Lady Miriams Diamanten blitzten im Lampenlicht, als sie über ihren seidenen Rock strich. »Danke, dass du dich aneinem solchen Abend auf den Weg gemacht hast«, sagte sie leise.
    Ihre scharfen blauen Augen betrachteten ihn eine ganze Weile. Dann schaute sie weg, aber Henry hatte die Frage in ihrem Blick gesehen, den Zweifel, und er fragte sich, wie lange er diesen lächerlichen Anschein noch würde wahren können. Vielleicht sollte er sich seinem Vater nach dem Abendessen stellen – es war besser, die Konfrontation selbst zu suchen, als sich auf frischer Tat ertappen und in die Defensive drängen zu lassen. Aber bei dem Gedanken bekam er ein flaues Gefühl im Magen, und kalter Schweiß rann ihm über den Rücken, während sein Vater sich darüber verbreitete, welche Unwägbarkeiten es mit sich brachte, in diesen Zeiten politischer Unruhe in Südirland einem Haushalt vorzustehen.
    Henry verschloss die Ohren vor der väterlichen Stimme und dachte an Maureen und daran, wie nass ihr Haar gewesen war, wie kalt der Wind, wie dünn ihr Mantel. Es war ungerecht, dass er so gut behütet vor dem warmen Feuer sitzen durfte, während sie durch den Regen zum Dorf zurückwandern musste. Der Gedanke schmerzte ihn so sehr, dass er ein Stöhnen unterdrücken musste. Wenn sie doch nur mehr Zeit füreinander haben könnten! Diese gestohlenen Augenblicke waren eine Plage, diese heimlichen Rendezvous, bei denen jedes Geräusch bedeuten konnte, dass man sie entdeckt hatte. Irgendetwas würde geschehen müssen – und zwar bald. Er ertrug es nicht, noch länger von ihr getrennt zu sein.
    Das Essen schien eine Ewigkeit zu dauern, und die Atmosphäre war so bedrückend, als liege ein Donnerwetter in der Luft. Sir Oswald arbeitete sich schweigend durch die fünf Gänge und nahm die Anwesenheit seiner Familie kaum zur Kenntnis. Lady Miriam tat ihr Bestes, um das gedehnte Schweigen mit Geplauder zu unterbrechen, und Thomas schwafeltevon der bevorstehenden Wahl und seiner Zuversicht, dass er seinen Sitz im Parlament behalten werde.
    Thomas’ Frau stocherte in ihrem Essen herum. Im Licht der Gaslampen wirkte ihr weiches braunes Haar stumpf, und ihr blasses kleines Gesicht lag im Schatten. Sie erinnerte Henry an eine kleine graue Maus, die er als Kind einmal gehabt hatte. Aber vielleicht war das herzlos. Die arme Emma, dachte er, als er schließlich die Serviette beiseite warf und zu essen aufhörte. Ihre letzte Fehlgeburt war die dritte in ebenso vielen Jahren – wenn Thomas sich doch nur zurückhalten und der armen Kleinen ein bisschen Zeit zu ihrer Erholung gewähren wollte. Aber das war typisch für seinen älteren Bruder. Dachte immer nur an sich.
    Die Diener brachten Brandy und Zigarren. Lady Miriam rauschte aus dem Zimmer, und Emma huschte ängstlich hinterher. Die Erleichterung der beiden war mit Händen zu greifen, und Henry rutschte auf seinem Stuhl hin und her und wünschte, er könne mitgehen. Der Abend wollte kein Ende nehmen, und er sehnte sich nach der Einsamkeit seines Schlafzimmers, nach einem Bleistift und sauberem, dickem Papier zum Zeichnen. Er wollte Maureens Gesicht einfangen – ihre wunderbaren grünen Augen und ihr dunkles Haar, die sanft geschwungenen Lippen und runden Wangen und das entschieden spitzbübische Grübchen, das erschien, wenn sie lächelte. Sie war einfach vollkommen. Man musste sie einfach lieben.
    Die Stimme seines Vaters riss ihn aus seinen Gedanken. »Habe heute Morgen einen Brief von Brigadier Collingwood bekommen«, dröhnte er. »Hat für nächste Woche ein Vorstellungsgespräch in London für dich arrangiert.« Seine buschigen Brauen überschatteten schmale Augen. »Wird Zeit, dass du etwas Nützliches tust, statt hier herumzulungern wie ein weibischer Taugenichts.«
    Thomas’ hämisches Grinsen entging Henry nicht, ebenso wenig wie der streitlustige Blick seines Vaters. Er atmete tief durch und zwang sich, ruhig zu bleiben. Es war eine alte Auseinandersetzung, aber er musste fest bleiben. »Es ist nicht mein Wunsch, zur Armee zu gehen«, sagte er
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