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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich
Autoren: Michael Peinkofer
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hinunter.
    »Bis wir die richtigen Antworten erhalten«, wiederholte Gaumardas gehässig. »Und wann wird das sein? Wir wissen ja noch nicht einmal, wonach wir eigentlich suchen. Womöglich jagen wir einem Geist hinterher, einem Hirngespinst.«
    »Hab Vertrauen«, riet Mercadier ihm und gab seinem Pferd ebenfalls die Sporen.
    »Vertrauen?«, rief Gaumardas ihm hinterher. »Worauf?«
    Mercadier wandte sich zu ihm um. Ein eisiger Windstoß erfasste den Umhang mit dem Tatzenkreuz und bauschte ihn auf. »Ich weiß nur, dass wir diese Frau finden müssen«, entgegnete der Tempelritter ausweichend. »So lautet unser Befehl.«
    »Wozu?«, fragte Gaumardas. Seine kleinen Augen, die etwas von einem Raubtier hatten, blitzten erneut. »Was ist der Sinn von alldem hier, Mercadier? Hast du dich das einmal gefragt? Warum hat man uns ausgerechnet hierher geschickt?«
    Sein Mitbruder blickte ihn lange an. »De par dieu« , zitierte er dann den Wahlspruch ihres Ordens, ehe er sich wieder nach vorn wandte und sein Pferd weiter antrieb. »Weil Gott es so will. Allein daran solltest du niemals zweifeln, Bruder.«
    Königreich Jerusalem
Zur selben Zeit
    Der Anblick schien stets derselbe zu sein, dennoch übte er eine eigentümliche Faszination auf Cuthbert aus.
    Gebannt beobachtete der Mönch, wie das Pendel, jener kleine Gegenstand aus Messing, der die Form eines umgekehrten Tropfens hatte, an dem ledernen Strick hin und her baumelte, den er zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Bald schwang es hierhin, bald dorthin, gelenkt von den kaum merklichen Bewegungen, die Cuthberts rechte Hand vollführte – und dennoch folgte es stets seinem eigenen Prinzip.
    Cuthbert hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, das Pendel immer dann unter den Falten seiner dunklen Robe hervorzuziehen, wenn er gezwungen war, auf etwas zu warten. Geduld hatte nie zu seinen hervorstechendsten Eigenschaften gehört, als Diener seines Ordens pflegte er mit der ihm gegebenen Zeit sorgsam umzugehen. Es missfiel ihm, die Zeit, die der Herr ihm auf Erden geschenkt hatte, mit Warten zu verschwenden, und das Pendel bot eine Möglichkeit, die Lücken des Tages mit nutzvollen und erhellenden Gedanken zu füllen.
    »Was ist das?«
    An dem schwingenden Stück Messing vorbei schaute Cuthbert auf das Kind, das zu ihm getreten war.
    Es war ein Mädchen von zwölf Jahren, mit aschbraunem Haar und blauen Augen. Das Kleid, das es trug, verriet die vornehme Abstammung, mehr als die staunend geschürzten Lippen und das neugierig vorgereckte Kinn.
    »Was habt Ihr da, Bruder Cuthbert?«
    »Ein Pendel«, erklärte der Mönch bereitwillig. Mit der Fingerspitze tippte er das Messing an und beendete auf diese Weise die Schwingung. »Wollt Ihr es einmal halten, Prinzessin?«
    Das Mädchen nickte ohne Zögern, trat näher und griff nach der Schnur. Sofort begann der metallene Tropfen in seiner Hand hin und her zu schwingen.
    »Gut so«, lobte Cuthbert.
    Ein flüchtiges Lächeln huschte um die ernsten Züge des Kindes, während es das Pendel betrachtete. »Und wozu ist es gut?«
    »Zu mancherlei Dingen.«
    Das Mädchen legte den Kopf schief. »Hat es Zauberkräfte?«
    »Nein.« Cuthbert schüttelte den Kopf. »Und Ihr solltet nicht so leichtfertig über derlei Dinge sprechen. Ich bin ein Mann des Glaubens, Prinzessin Sibylla, nicht des Aberglaubens.«
    »Wozu ist das Pendel dann gut?«, wollte das Mädchen ungeduldig wissen.
    »Der Mann, der es mir gab, behauptete, dass es die Antwort berge.«
    »Die Antwort worauf?«
    Cuthbert lächelte. »Genau das ist die Frage. Eure Klugheit übertrifft bei Weitem Euer Alter.«
    Sibylla ließ das Pendel noch einen Augenblick lang schwingen und betrachtete es dabei, während Cuthbert das Kind musterte. Die Haarfarbe und die schmalen Augen hatte es fraglos von seiner Mutter; die schmale, ebenmäßige Nase, das kantige Kinn und die grüblerische Stirn jedoch waren ein Erbe seines Vaters.
    Mit einem unwilligen Seufzen ließ Sibylla das Pendel sinken. »Wenn Ihr die Frage nicht kennt und es über keine Zauberkraft verfügt, ist dieses Ding zu nichts nütze«, stellte sie fest und gab es dem Mönch zurück. Cuthbert wollte etwas erwidern, doch in diesem Moment kehrte der Diener zurück, auf den er gewartet hatte. »Ihr dürft jetzt eintreten, Bruder«, sagte er. »Seine Majestät erwartet Euch.«
    Cuthbert verabschiedete sich von Sibylla mit einem Augenzwinkern – wobei das Mädchen keine Miene verzog –, dann folgte er dem Diener an den Wachen vorbei durch
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