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Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Michael Peinkofer
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toskanischen Sonne suchten, und so beeindruckend die Herren in ihren engen Beinkleidern und den langen Rockschößen. Selbst die Sprache, derer sich die Menschen hier bedienten, kam ihr anders vor, ein geradezu himmlisch anmutender Gesang im Vergleich zu dem bäuerisch plumpen Umgang, den man draußen auf den Dörfern pflegte.
    Genau das hatte sie sich insgeheim stets erhofft und erträumt – den Staub des Landlebens und den Geruch des Gewöhnlichen abzuschütteln und ein anderes, besseres Leben zu beginnen. Und dieser Traum schien sich für sie erfüllt zu haben, auch wenn sie erst ganz am Anfang stand.
    Über die Brücke, die sich in kühnem Bogen über den um diese Zeit wasserreichen und türkisgrün schimmernden Fluss spannte, gelangte sie nach Oltrarno, den Stadtteil der Reichen und Mächtigen. Über Jahrhunderte hinweg hatte die Familie Medici die Geschicke der Stadt und des umliegenden Landes von dort aus gelenkt. Den Herzogspalast zu ihrer Linken lassend, gelangte Serena an einen weiten, von vielstöckigen Stadthäusern umgebenen Platz, der den Namen Santo Spirito trug; der Beschreibung folgend, die Don Alfredo ihr gegeben hatte, folgte sie ein kurzes Stück der Hauptstraße, auf der sich die Menschen drängten: Fliegende Händler hatten Stände aufgebaut, Reiter und Ochsenkarren suchten sich einen Weg durch das dichte Gewimmel. Schließlich bog sie in eine Seitenstraße ab und ging diese bis zum Ende hindurch, vorbei an steinernen Gebäuden, die so hoch waren, dass kaum Sonnenlicht in die Straßen fiel, und an Läden, in denen Waren zum Kauf feilgeboten wurden, die Serena noch nie gesehen hatte – glitzernde Stoffe von einer Beschaffenheit, die ihr gänzlich unbekannt war, dazu kunstvolle Vasen und Krüge aus buntem Glas.
    Das Haus, das man ihr genannt hatte, befand sich am Ende der Gasse, vom Sonnenlicht geschützt und mit zwei Eingängen versehen, der eine unter einem hohen Portal, der andere sehr viel unauffälliger in einer dunklen Nische. Vor diese Pforte trat Serena. Mit zitternder Hand schob sie die Kapuze zurück und entblößte ihr schwarzes, zu einem langen Zopf geflochtenes Haar. Dann atmete sie tief durch, nahm ihren ganzen Mut zusammen und klopfte.
    Das Klopfen war kaum zu hören, das dicke Holz der Tür schien es zu schlucken. Dennoch waren nach einer Weile von drinnen Schritte zu hören. Das kleine Sichtfenster wurde geöffnet, und das schmale Gesicht eines Mannes erschien, der eine Habichtsnase hatte und dessen Augen im Halbdunkel der Gasse wie glühende Kohlen zu leuchten schienen.
    »Ja?«, blaffte er.
    Serenas Zögern währte nur einen Augenblick. Sie hatte die Sprache lange nicht gesprochen, dennoch fanden die Worte sofort auf ihre Lippen. »Mein … mein Name ist Serena«, stellte sie sich auf Englisch vor, was den Mann dazu nötigte, eine schmale Braue zu heben. »Ich stamme aus der Gegend von Pistoia.«
    »Und?«, wollte er wissen, so barsch, dass sie unsicher wurde. Statt weiterzusprechen, griff sie unter ihren Kapuzenmantel und beförderte das Schreiben zutage, das Don Alfredo ihr mit auf den Weg gegeben hatte.
    »Dieser Brief«, sagte sie dazu, »stammt von Don Alfredo. Er sagte, dass es in diesem Haus Arbeit geben könnte für jemanden, der beide Sprachen spricht.«
    Der Mann bedachte zuerst sie, dann den Brief in ihren Händen mit einem misstrauischen Blick. Schließlich griff er durch die Öffnung, entriss ihr das Schreiben mit einem mürrischen Grunzen und verschwand im dunklen Inneren des Hauses.
    Serena blieb zurück.
    Eingeschüchtert.
    Besorgt.
    Wenn der Mann nicht an die Pforte zurückkehrte, war ihr Traum von einem neuen Leben in der Stadt schon zu Ende; ohne das Empfehlungsschreiben von Don Alfredo war sie nur ein Mädchen von Hunderten, das in der Stadt Arbeit suchte, zumal nach den schlechten Ernten der vergangenen Jahre. Und was ihr blühte, wenn sie in ihr Dorf zurückkehrte, darüber wollte sie lieber gar nicht nachdenken.
    Entsprechend erleichtert war sie, als erneut Schritte erklangen und die beiden Glutaugen wieder aus der Dunkelheit auftauchten. »Komm rein«, erklärte der Türwächter so mürrisch, als würde er ihr eine Absage erteilen. Erst als er den Riegel zurückzog und die Dienstbotentür öffnete, wurde Serena klar, dass sie das erste Hindernis überwunden, den nächsten Schritt zur Verwirklichung ihres Traumes getan hatte.
    Mit angehaltenem Atem, so, als würde sie im Wasser untertauchen, trat sie in das Halbdunkel. Mit einem dumpfem Knall fiel die
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