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Das Vermächtnis der Feen (German Edition)

Das Vermächtnis der Feen (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Feen (German Edition)
Autoren: Brigitte Endres
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der Halle abzweigten, führte zu einem Friseur, ein anderer zu einem Fitnessraum, in dem sich ein grau melierter Mann im Jogginganzug auf einem Stepper abrackerte. Einen Raum weiter lag das Businesscenter, ein fensterloses Zimmer, in dem drei Computer mit Internetanschluss bereitstanden. Momentan machte keiner der Hotelgäste von dem Angebot Gebrauch. Ausgezeichnet! So konnte sie ganz ungestört gleich eine E-Mail an Moma schreiben. Josie ging über den rot-grün geblümten Teppichboden zu einem der Mahagoni-Schreibtische und wählte sich ein. Bis auf die ungewohnte englische Tastatur, auf der die Umlaute fehlten, fand sie sich rasch zurecht. Sie beschrieb das Hotel und schwärmte von dem atemberaubenden Sonnenaufgang. Die eigenartige Amsel erwähnte sie nicht. Jetzt, Stunden später, schob Josie die Erscheinung auf den Jetlag und ihre lebhafte Fantasie.
    Als sie wenig später wieder in der Halle stand, lockten sie die Sonnenstrahlen, die durch den Eingang auf den polierten Terrazzoboden fielen. Das Wetter war ja himmlisch! Entweder sie raffte sich auf und inspizierte die Umgebung auf eigene Faust oder sie vertrödelte diesen herrlichen Sommertag, bis Taddy heimkam, in den düsteren Gemäuern des alten Hotelkastens. Unschlüssig schlug sie den Führer auf. Das Bild eines Brunnens sprang ihr entgegen. »Der Buckingham-Brunnen im Grant Park«, las sie leise. Okay, das war vielleicht ein guter Anfang. Der Park schien nicht weit entfernt zu sein.
    Sie gab sich einen Ruck und trat durch die Glastür ins Freie. Unter dem Baldachin blieb sie stehen und faltete den beigelegten Stadtplan auseinander. Das Hotel war in der Dearborn Street. Sie musste sich nach Osten halten, dann würde sie unweigerlich zu ihrem Ziel kommen.
    Hier in der Gegend standen viele alte Häuser, wobei »alt« relativ war. Chicago war 1871 komplett abgebrannt. Angeblich, weil eine Kuh durch das Umstoßen einer Laterne eine Holzscheune in Brand gesetzt hatte. So hatte es Josie jedenfalls vorhin im Führer gelesen. Dass es in dieser Stadt der Wolkenkratzer jemals Kühe und Scheunen gegeben haben sollte, überstieg ihr Vorstellungsvermögen.
    Der Tag hielt, was der Morgen versprochen hatte. Die Sommersonne strahlte, als wolle sie die Welt umarmen. Lärmend kreisten Möwen im Himmelblau. Weiter vorn erhob sich ziegelrot der Uhrenturm des alten Dearborn-Bahnhofs. Fast alle Häuser hier ragten zehn Stockwerke hoch, viele deutlich höher. Die Straßen waren breiter, die Autos größer als daheim. Der Wind wirbelte Josies kupferfarbenes Haar hoch. Alle Versuche, es hinter die Ohren zu klemmen, gingen ins Leere. Bestimmt sah sie aus wie ein Flammenwerfer. Jetzt wurde ihr klar, warum die Einwohner ihre Stadt »Windy City« nannten. Zehn Minuten später tauchte der Grant Park auf, ein breiter Grünstreifen, der sich, nur von einer Straße getrennt, am Seeufer entlangzog. Jogger trabten an ihr vorbei. Spaziergänger genossen den wolkenlosen Vormittag.
    Vor dem Buckingham-Brunnen tummelten sich Scharen von Touristen und fotografierten. Josie ärgerte sich, dass sie ihr Handy daheim gelassen hatte. Moma hatte gemeint, mit einer deutschen Karte in den Staaten zu telefonieren, würde ein Heidengeld kosten. Dass es aber ziemlich gute Fotos machte und zurzeit ihre einzige Kamera war, daran hatten sie beide nicht gedacht. So versuchte Josie, sich alles ganz besonders gut einzuprägen.
    Wie bei einer Hochzeitstorte stapelten sich drei Wasserbecken übereinander, aus denen unzählige Fontänen in die Höhe schossen. Josie hatte gelesen, dass der Brunnen stündlich einen fünfzig Meter hohen Wasserstrahl ausspuckte. Dieses Spektakel wollte sie sich nicht entgehen lassen. Sie setzte sich auf eine Bank und wartete. Hier in der Sonne ließ es sich aushalten. Sie schloss die Augen. Die Rosenrabatten verströmten lieblichen Duft, das Rauschen des Wassers vermengte sich mit dem entfernten Straßenlärm und dem Gesang der Vögel zu einer eigenwilligen Sinfonie. Fast unmerklich schlich sich eine bekannte Tonfolge dazwischen, die sie schließlich aufschrecken ließ.
    Auf der Lehne dicht neben ihr balancierte in grazilen Bewegungen ein Vogel. Josie schnappte nach Luft. Verdammt! Schon wieder diese schwarze Amsel mit dem weißen Brustfleck! Wirklich nur die Amsel? Sie blinzelte. Aber diesmal schien sich die Gestalt des Vogels nicht zu verändern. Dafür trug die Amsel heute etwas im Schnabel, etwas, das in der Sonne geradezu magisch glitzerte. Wäre Josie fähig gewesen, sich zu
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