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Das verlassene Boot am Strand

Das verlassene Boot am Strand

Titel: Das verlassene Boot am Strand
Autoren: Scott O'Dell
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konnte die Leinenrolle genau sehen. »Nicht einmal mehr die Hälfte.«
    Weil wir nicht mehr ruderten, begann das Boot zu schaukeln. Die Breitseite wurde den Wellen zugedreht, die höher geworden waren, und das Schaukeln verstärkte sich.
    »Ich halte das Faß fest«, sagte ich zu Mando. »Nimm du die Ruder und dfehe den Bug gegen den Wind.«
    Mando ließ mich los und ergriff die Ruder; das Boot lag wieder ruhiger. Die Leine surrte. Es war nur noch weniger als ein Drittel übrig.
    »Halt dich fest!« schrie ich Mando zu.
    Gleichzeitig klemmte ich das Faß unter der vorderen Ducht ein und hielt es dort fest, die Füße gegen eine Bootsrippe gestemmt.
    Mando hatte ein Loch in den Faßboden gebohrt, das Ende der Leine durchgezogen, und außen einen doppelten Knoten gemacht; die Leine konnte sich also nicht vom Faß lösen.
    Das letzte Stück Leine sauste an meinem Ohr vorbei. Es gab einen Ruck, und das ganze Boot bebte, als ob wir einen Felsen gerammt hätten. Die Leine war so straff gespannt, daß sie wie aus Eisen schien, aber sie riß nicht. Ich klammerte mich mit aller Kraft an das Faß. Mando hielt den Bug gegen den Wind. Der Zug an der Leine wurde gleichmäßiger, und dann glitten wir langsam auf die Insel zu.
    »Vielleicht zieht er uns dahin, wohin wir wollen«, meinte Mando. »Ich werde Zando anrufen und er wird es Señor Espada befehlen.«
    Mando murmelte lautlos vor sich hin und machte mit drei Fingern ein Zeichen. Der große Fisch schwamm tief, aber er steuerte schnurgerade auf die Insel der blauen Delphine zu.
    Um meine Kräfte zu schonen, schlug ich Mando vor, ein doppeltes Tau um das Faß zu ziehen und es festzubinden. Als dies geschehen war, konnte ich das Faß loslassen und die Leine halten. Sie war so dick wie mein kleiner Finger und rauh.
    Der Wind sprang um und die Wellen wurden höher, Wasser schwappte ins Boot. Wir schöpften es heraus, so gut wir konnten, damit es nie höher als bis zu den Knöcheln reichte.
    Die Sonne stand hoch. Sie war heiß und prallte von der Wasserfläche zurück. Wir glitten langsamer dahin, als wenn wir gerudert hätten, aber wir kamen weiter. Dann spannte sich die Leine plötzlich steiler, sie ging schnurgerade nach unten und drehte das Boot herum. Wir nahmen wieder Kurs auf Santa Cruz, das wir bei Tagesanbruch verlassen hatten.
    Nach einer Weile wurde die Leine schlaff. Ich konnte ein langes Stück einholen, auf roll en und in das Faß legen. Dann noch einmal ein Stück.
    »Wir haben ihn verloren«, sagte Mando.
    »Nein, er kommt herauf.«
    Der Fisch kam immer näher. Das Faß war schon wieder zur Hälfte mit der Leine gefüllt. Aber es mußten noch immer ungefähr hundert Meter draußen sein.
    »Kommt er immer noch?« fragte Mando.
    »Ja, aber langsam.«
    »Er ist groß.«
    »Was meinst du, wie groß er ist?«
    Wir waren seit kurz nach Tagesanbruch an den Fisch angehängt, und jetzt war die Sonne schon auf ihrem Weg nach Westen.
    »Er muß riesig sein, Zia.«
    »Wie riesig?«
    »So groß wie drei Männer. Wenn er nicht so groß wäre, könnte er uns nicht so lange übers Meer ziehen.«
    Mando wußte mehr vom pezespada als alle Fischer in der Mission. Er konnte sie an ihren Schwanzflossen erkennen, wenn sie weit draußen auf dem Meer lagen und sich sonnten.
    Die schwere Leine gab nicht mehr nach. Ich stemmte die Füße gegen die Bootsrippen und zog. Mando half mir. Aber der Fisch zog uns die Leine langsam wieder aus den Händen und dann aus dem Faß.
    »Die Leine ist wieder ganz abgespult. Er zerrt jetzt schon den ganzen Tag daran«, sagte ich. »Hoffentlich hält es das Faß aus.«
    »Es ist ein gutes Faß aus Eichenholz«, sagte Mando. »Die Dauben sind zweieinhalb Zentimeter dick. Und es hat fünf eiserne Reifen. Das hält so lange wie die Leine, und das wird lange sein. Ruh' dich aus und warte ab. Der Fisch wird eher müde als wir.«
    Ich war bereits müde, und meine Hände bluteten.
    »Halt sie ins Wasser. Ich kümmere mich um die Leine.« Er hatte sie einmal um die Bugspitze geschlungen und stemmte sich gegen den Bootsboden. »Zuerst brennt das Salzwasser in den Wunden, aber nach einer Weile wird es besser.«
    »Ich spüre meine Hände gar nicht mehr. Sie sind abgestorben. Sie gehören nicht mir, sondern irgend jemand anderem«, sagte ich.
    »Nicht mir. Ich habe auch ein Paar, das völlig gefühllos ist.«
    Wir steuerten langsam um das Seetangfeld vor der Südspitze von Santa Cruz herum. Nun ging es leichter voran. Die Sonne stach mir nicht mehr in die Augen, sondern
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