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Das verlassene Boot am Strand

Das verlassene Boot am Strand

Titel: Das verlassene Boot am Strand
Autoren: Scott O'Dell
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sorgfältig in dem Faß auf. Mando lag im Bug und schlief so tief und fest, als ob er noch nie zuvor geschlafen hätte; eine Hand lag auf dem Boden des Bootes im Wasser.
    Die Sonne war inzwischen aufgegangen, als ich den großen Fisch zu sehen bekam. Er war noch etwa fünf Bootslängen von uns entfernt und bewegte sich kaum. Nur sein Schwanz zuckte sehr langsam hin und her. Das Licht der aufgehenden Sonne fiel so, daß der Fisch im Schatten des Bootes lag. Meine Hände bluteten noch, und ich zog den Fisch langsam näher, ohne ihn zu drängen. Ich kauerte auf dem Bootsboden, versteckte mich hinter der Bootswand und machte möglichst wenig Bewegungen.
    Ich hielt die Leine um das linke Handgelenk geschlungen und schob sie Stück um Stück, so wie ich sie hereinzog, unter meine Knie. Die Sonne schien Mando ins Gesicht, aber er rührte sich nicht. Er hatte solch einen glücklichen Gesichtsausdruck, als ob er Sphärenklängen lauschte. Das einzige, was ich hören konnte, war die Brandung, die gegen das Ufer schlug, und dann das Zurückschlagen der Wellen von den Klippen und Höhlen.
    Der große Fisch war kein pezespada , wie Mando geglaubt hatte. Sein Maul endete in einem sehr langen, runden Speer, der sich ein wenig nach oben wölbte. Sein Rücken war purpurblau, und hellblaue Streifen liefen zu seinem silbernen Bauch.
    Der Fisch hielt inne, ich hielt die Leine locker, bewegte mich nicht und hielt den Atem an. Der Angelhaken steckte fest in seinem Unterkiefer. Er glitt näher heran, und sein spitzes Maul lag auf der Höhe des Bugs. Sein Schwanz rührte sich kaum. Auf seiner großen Rückenflosse funkelten die violetten und blauen Tupfen in der Sonne.
    Ich blieb zusammengekauert hocken und beobachtete ihn. Seine Augen bewegten sich, blickten zum Boot auf und sahen mich an. Sie waren riesig, und nachdem sie mich einmal gefunden hatten, ließen sie mich nicht mehr los. In der Sonne leuchteten sie golden, aber es gab verschiedene Farben darin, auch Purpur und Blau wie auf seinem Rücken.
    Sein Blick blieb unverwandt auf mich gerichtet. Es war seltsam, einem Fisch in die Augen zu schauen, der einen auch anschaute. Ich hatte das Gefühl, daß er wußte, daß ich schuld an dem Haken in seinem Maul und an dem langen Kampf war, der schon einen ganzen Tag und die ganze Nacht dauerte. Trotzdem sah ich keinen Haß in seinem Blick. Nur eine Art Verwunderung und Staunen - und Unterwerfung.
    Mando schlief immer noch und verscheuchte im Schlaf eine Schnake. Ich hätte sein ausgestrecktes Bein mit dem Fuß berühren können, und ich dachte daran, ihn anzustoßen und zu wecken, aber ich fürchtete, daß er mit einer plötzlichen Bewegung den Fisch erschrecken könnte, und dieser dann noch einmal einen Befreiungsversuch machen würde.
    Die Harpune und ein Fischhaken aus einem langen Bambusrohr mit einer Eisenspitze lagen in meiner Reichweite. Ich konnte mich für eines entscheiden oder mit einiger Überlegung auch beide gleichzeitig benutzen.
    Der große Fisch lag nun längsseits neben dem Boot und lehnte sich dagegen, als ob er sich ausruhen müsse. Ich konnte seine Augen nicht mehr sehen. Nur seinen purpurnen Rücken und die blauen Streifen, die sich über seine Flanken hinunterzogen. Aber ich erinnerte mich an seinen Blick voll Verwunderung und Unterwerfung. Ich konnte nur noch an diese Augen denken, die mich anschauten.
    Mando lag auf der Seite. Ich beugte mich vor und zog sein langes Messer aus der Scheide, ich löste die Leine von meinem Handgelenk und legte sie fest auf das Dollbord. Das Messer war scharf und schnitt schnell durch das Hanftau.
    Der große Fisch rührte sich nicht. Er wußte noch nicht, daß er frei war. Ich stand auf und dabei schaukelte das Boot gegen ihn. Er glitt ein wenig zur Seite. Ich warf die abgeschnittene Leine über Bord. Der Fisch sah die Bewegung und entfernte sich noch ein Stückchen vom Boot. Seine Flossen bewegten sich kaum, als er vornüber tauchte. Er verwandelte sich in einen langen Schatten, dann in einen kleinen Schatten, und dann war er verschwunden.
    Der eiserne Haken in seinem Unterkiefer und die Leine würden mit der Zeit im Salzwasser, das alles zerstörte, zerfallen. Ich setzte mich hin und schaute eine Weile auf den schlafenden Mando. Dann nahm ich die Ruder und begann zu rudern.
    Der Morgen war klar und windstill. Ich kehrte um und nahm Kurs küstenaufwärts nach Santa Barbara. In einem Winkel meines Herzens war ich froh, weil der Fisch sich zwischen uns und den Ozean geschoben
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